AUF GEGENKURS
Eine Fest- und Dankesschrift  zum 100. Geburtstag von
Pfarrerin Dr. h.c. Ilse Härter


Herausgegeben von Hartmut Ludwig

Logos-Verlag Berlin´2011, 210 Seiten, 19,90 Seiten
ISBN 978-3-8325-3043-3

Ab 12. Januar 2012 im Buchhandel

Oder - wünschenswert !!! - Bezug über die
Solidarische Kirche im Rheinland.
Kontakt Klaus Schmidt, Köln  -   email: kaschmi72@gmx.de


Unter dem Titel „Auf Gegenkurs“ beschrieb Ilse Härter ihren Weg als „illegale“ Vikarin der Bekennenden Kirche und ihre Widersetzlichkeit in der Zeit des Nationalsozialismus. Als sich die „Männer-Kirche“ noch vehement gegen Frauen im Pfarramt sträubte, räumte sie als Vorkämpferin für das volle Amt künftigen Theologinnen viele Steine aus dem Weg.

Als rheinische Schulpastorin leitete sie nach 1945 ihre Schülerinnen an, die NS-Zeit kritisch zu sehen und bezog sie in die ökumenische Bewegung ein, als das noch völlig neu war. Als Mitglied der Kirchlichen Bruderschaft/ Solidarische Kirche im Rheinland begleitete sie das Handeln ihrer Kirche kritisch.

Kompromisse mit dem Zeitgeist lehnte sie konsequent ab. Sie trat für Versöhnung und Frieden und gegen jede Ungerechtigkeit vor Ort und in der weltweiten Ökumene ein.

Seit den achtziger Jahren widmete sie sich der wissenschaftlichen Erforschung der Entwicklung des Amtes der Theologin. Trotz allem Gegenwind, dem sie sich aussetzte, hielt sie an dem, was sie als richtig erkannt hatte, fest und schrieb so Kirchengeschichte.

In dieser Festschrift. erzählen Weggefährtinnen und Weggefährten, wie sie ihr begegneten und was sie ihr verdanken. Außerdem werden zwei bisher unveröffentlichte Vorträge von Ilse Härter sowie die Laudatio bei der Ehrenpromotion und ihre Dankesrede im Januar 2006 dokumentiert.
TRANSPARENT (www.transparentonline.de) und die ZWISCHENRUFE dokumentieren mit freundlicher Erlaubnis des Herausgebers, Dr. Hartmit Ludwig, Berlin, drei Beiträge aus

AUF GEGENKURS-  Eine Fest- und Dankesschrift
zum 100. Geburtstag von Pfarrerin Dr. h.c. Ilse Härter:

Seite 13 – 17 Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider:

In jedem Leben sind es die „Umstände“, die das Leben reich, erfüllt und erinnerungswürdig machen. Und in einem Leben von hundert Jahren ist das erst recht der Fall. Für Ilse Härters Leben erhellen zwei Sätze diese Umstände besonders:

„... [Ende März 1939] erklärte ich D. Hesse, er möge dem Presbyterium mitteilen, dass ich bei meiner Einsegnung nicht anwesend sein würde.“1

„...Februar 1941 ... folgte ich einem Ruf der Gemeinde Berlin-Wannsee, die nach einem halben Jahr ihr Ende fand, weil ich den Eid auf Hitler verweigerte.“2

Das sind wirklich zwei Schlaglichtsätze; denn sie werfen ein helles Licht auf Ilse Härters Leben und die Konsequenz, mit der sie ihren Weg ging und geht, – und in das Licht-Dunkel-Gemisch der Geschichte unserer Kirche mit ihren allzu oft unentschiedenen Wegen.

Unbeirrbar war Ilse Härter in ihrer Gegnerinnenschaft zum NS-Regime, aber auch zur Kirche selbst, soweit sie sich mit diesem eingelassen hatte: Sie verweigerte nicht nur den Eid auf Hitler, sondern auch den „Ariernachweis“, sie legte ihre Examina vor der Prüfungskommission der Bekennenden Kirche in Wuppertal ab und zog die Existenz als Illegale der einfacheren Möglichkeit vor, diese Prüfungen von der offiziellen Kirchenbehörde bestätigen zu lassen. Ihre Treue gehörte der Bekennenden Kirche, und sie lebte diese Treue nicht nur theologisch, sondern (was die Grenzen überschritt, die sich die Bekennende Kirche selbst setzte) auch praktisch-politisch: Ilse Härter war als junge Theologin daran beteiligt, dass sich eine Jüdin in dem Pfarrhaus verstecken konnte, in dem sie damals wohnte. Konsequent selbstkritisch sagt sie hierzu in einem Interview: „Ich hätte ja sagen müssen“ – nämlich auf die Frage der Gestapo, ob sie selbst diese Jüdin sei.3

Diese Inkonsequenz wirft sie sich vor – andere sind schwer zu finden. Die Kompromisse, die nach und nach auch die Bekennende Kirche mit dem Regime einging, kamen für sie nicht in Frage. Das zeigt exemplarisch die Verweigerung des Antrags auf Legalisierung, von der oben die Rede war.

Und – damit eng verbunden –gab es auch auf einem anderen Gebiet für Ilse Härter keine Kompromisse: Die Ordination von Frauen. Wir schlagen damit ein wenig rühmliches Kapitel sowohl in der Geschichte der Bekennenden Kirche als auch in der der Evangelischen Kirche im Rheinland auf, nämlich das lange Kapitel „Frauenordination und Rechte und Pflichten von Theologinnen.“

Es ist wirklich unbeschreiblich und aus heutiger Sicht unverständlich, zum Teil auch unfreiwillig komisch, mit welcher Selbstverständlichkeit (zunächst) und (später, als sich Druck aufbaute) Erfindungsgabe die Brüder darangingen, Frauen die Ordination und damit das volle Pfarramt zu verweigern.

„Fräulein Vikarin“ wurde laut Vikarinnengesetz der Altpreußischen Union eingesegnet und hatte mit ihrer Verheiratung aus dem Dienst auszuscheiden. Dieser Dienst war – ganz nach dem von Männern erwünschten Rollenbild – auf Frauen, Kinder und Jugendliche beschränkt, denn „(d)as Amt der Verkündigung gibt Jesus dem Mann.“4 Eine (theologische) Begründung sucht man vergebens. Peter Brunner hat es in einem Gutachten für die 9. BK-Synode der Altpreußischen Union 1940 versucht, in dem er „...in der geschöpflichen Stellung von Mann und Frau [einen] seinsmäßigen Unterschied zwischen beiden“ konstatierte. Im Ergebnis sei daher die „Frau als solche“ nicht befähigt, ein öffentliches Amt zu bekleiden und er stellte abschließend fest: „Die Vikarin ist (eine) theologisch ausgebildete Diakonisse...“.5 Da gab es gewundene Synodenerklärungen, die die Entscheidungen immer wieder verschoben, da gab es Ausschussgutachten, die sich ausgiebig mit der Frage beschäftigten, ob der gegenwärtige kirchliche Notstand das Untertansein der Frau unter den Mann zeitweilig aufhebe.

Eigentlich hatte Ilse Härter all solches ja schon 1939 mit dem oben zitierten Satz beiseite gewischt. Eigentlich gab es zum Beispiel in der brandenburgischen Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union schon einen deutlich unkomplizierteren Umgang mit dem Thema „Frauenordination.“ Aber eben dort und nicht im Rheinland, so dass es Ilse Härter nicht allzu schwer gefallen sein dürfte, der Bitte zu folgen, in Berlin-Wannsee für die Bekennende Kirche tätig zu werden. Auch dort allerdings, wo sie den vollen Pfarrdienst leistete, dauert es noch bis zum 12. Januar 1943, bis der damalige Präses der Bekenntnissynode von Brandenburg und spätere EKD-Ratsvorsitzende Kurt Scharf voller Empörung den Knoten einfach durchschlug und sie zusammen mit Hannelotte Reiffen ordinierte – „im Scheinwerferlicht-Bereich des KZ Sachsenhausen“, wie Ilse Härter später einmal in einem Antwortschreiben auf einen Gratulationsbrief des rheinischen Präses Brandt zum 40. Ordinationsjubiläum schrieb.6 Diese Antwortschreiben waren übrigens von ganz besonderer Art, aber dazu habe ich mich ja schon zu Ilse Härters 60. Ordinationsjubiläum geäußert.

Wenig rühmlich habe ich das Kapitel „Frauenordination“ genannt. Für die brandenburgische Bekennende Kirche ist diese vorsichtige Ausdrucksweise wohl richtig. Sie war, vorangetrieben durch den Superintendenten des Kirchenkreises Spandau, Martin Albertz, und eben durch Kurt Scharf, durchaus eine Vorreiterin, zögerte eine eindeutige Entscheidung aber auch immer wieder hinaus, mit Rücksicht auf die Brüder, die anderer Meinung waren.

Regelrecht beschämend muss man es aber wohl nennen, dass unter diesen Brüdern die rheinischen ganz vornan standen. Schon 1939 hatte Johannes Schlingensiepen, damals Ausbildungsreferent der rheinischen Bekennenden Kirche, nachdem der oben zitierte epochemachende Satz von Ilse Härter gefallen war, kurzerhand bestimmt: „Vikarinnen werden eingesegnet.“7 Mit anderen führenden rheinischen Bekenntnistheologen, die wie er später zu Ruhm, Ehre und Ämtern gekommen sind, hat er das Gutachten von Peter Brunner unterzeichnet. Rheinische Brüder waren es, die auf den Synoden der Altpreußischen Union immer wieder Fortschritte zu verhindern versuchten – mit Erfolg, wie die Beschlüsse der 11. Synode in Hamburg zum Dienst der Vikarin zeigen.8 Und – das geht aus der Personalakte von Ilse Härter hervor – auch nach dem Krieg, als Ilse Härter wieder Dienst im Rheinland tat, hatte man im Landeskirchenamt in Düsseldorf offensichtlich Mühe damit, den Zusammenhang von Ordination, wirklichem Dienstantritt im Rheinland und Anrechnung der Dienstzeiten in Brandenburg so zu sortieren, dass ein korrekt errechnetes Besoldungsdienstalter zustande kam. Nicht ohne Grund also seufzt Ilse Härter in einem der oben erwähnten Dankschreiben „...daß wir frühen Theologinnen es nicht ganz leicht mit unseren Kirchen hatten“, und fährt fort: „Auch unsere rheinische Kirche (einschl. BK) war ja doch durch einige seltsame Vorstellungen und entsprechende Konsequenzen hinsichtlich unseres Dienstes geprägt!“9 In der Tat, können wir Heutigen da nur mitseufzen.

Und dankbar können und müssen wir sein. Ilse Härter und ihre selbstbewussten und entschlossenen Weggefährtinnen haben sich nicht beirren lassen. Hochfein haben sie theologisch gegen die Beschlüsse der Hamburger Synode argumentiert.10 Sie haben sich geweigert, alberne Gewänder statt eines ordentlichen Talars zu tragen. Sie haben einer Kirche die Treue gehalten, die ein feines Gespür für die Menschenverachtung hatte, die sich zwischen 1933 und 1945 in Deutschland ausgebreitet hatte – aber wenig davon erkennen ließ, wenn es um die Frau, die Theologin ging.
Heute ist das, worum Ilse Härter und ihre Kolleginnen und Freundinnen gekämpft haben, weitgehend selbstverständlich. Unbestritten gilt in der rheinischen Kirche, dass sich die Ordination von Frauen aus dem Evangelium heraus begründet, dass in der Kirche der Unterschied der Geschlechter für geistliche Ämter nicht von Bedeutung sein und dass es im Leib Christi keine Bevorzugten oder Benachteiligten geben darf. Dass das so ist, ist auch und entscheidend Ilse Härters Verdienst.

Am 31. Januar 2006 hat die Kirchliche Hochschule Wuppertal Ilse Härter die theologische Ehrendoktorwürde verliehen – „für ihre Verdienste um die Gleichberechtigung der Frauen im kirchlich/pastoralen Dienst.“ Beim Festakt sprach die Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Petra Bosse-Huber, ein Grußwort, in dem sie Ilse Härter „Mutter im Amt“ nannte.11 Dass jüngere Theologinnen das heute tun und dass sie genau wissen, warum sie es tun, ist wesentlich Ilse Härter und ihren Mitstreiterinnen zu danken. Denn sie haben dafür gesorgt, dass ihr Kampf nicht in Vergessenheit geriet. Ilse Härter durch Dankschreiben an das Landeskirchenamt, vor allem aber durch viele wissenschaftliche und nicht wissenschaftliche Veröffentlichungen, Interviews und viele persönliche Gespräche eben mit jüngeren Theologinnen.

Ja, Ilse Härter ist wirklich und wahrhaftig eine große Frau unserer Kirche. Zum 100. Geburtstag gratuliere ich von Herzen mit dem pfingstlichen Wort des Propheten Joel (3,1):
„Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.“
Mögen der (einer Hundertjährigen darf ich das, hoffe ich, so sagen) jungen Alten Ilse Härter noch viele Träume geschenkt werden!
Dr. h.c. Nikolaus Schneider

Seite 130 – 137 Klaus Schmidt:  DU HAST Politisch IMMER KLARTEXT GEREDET

Liebe Ilse, als wir im Oktober 2011 miteinander telefonierten, fragte ich Dich scheinbar nebenbei (Du solltest ja von dieser Festschrift nichts wissen) nach Deinem politischen Engagement in der Nachkriegszeit und erfuhr dabei, dass Du zu den Pionierinnen der Aktion „Kauft keine Früchte der Apartheid“ gehört hast. Dann kam noch ein entsprechender Brief von Dir, wie immer präzise in Stil und Schrift.

Und Du schriebst, wie Du in Wuppertal an berufsbildenden Schulen politische Aufklärung betrieben hast. Auch da hatten wir etwas gemeinsam: Ich hatte in Köln die längere Zeit meines Berufslebens an solchen Schulen unterrichtet. Meine kollegiale Vorgesetzte war Ina Gschlössl gewesen – eben jene Gesinnungsgenossin, über die Du mehrfach biografisch geschrieben hast.12

Und nicht zuletzt waren – und sind – wir in unserer rheinischen „Solidarischen Kirche“  eine lange Wegstrecke miteinander gegangen. Aufgrund Deiner „angeknaxten“ Gesundheit warst Du in den letzten Jahren bei den Treffen nicht mehr leibhaftig, jedoch geistig präsent – von Deiner finanziellen Unterstützung unseres „Vereins“ ganz abgesehen.

Zur intensivsten Form unserer Zusammenarbeit kam es im Jahr 2005, als wir unter der Federführung von Günther von Norden das Buch „Sie schwammen gegen den Strom…“ verfassten.13 Du brachtest eine mehrfache Kompetenz mit: kirchlich-feministisch, politisch seit den Zeiten der Bekennenden Kirche (BK) und wissenschaftlich tätig auf eben jenen Gebieten. Du warst da in unserem Kreis auch die Betroffene und wichtige Zeitzeugin der „illegalen“ BK-TheologInnen, die sich DC-dominierten Kirchenleitungen verweigert hatten oder von ihnen „exkommuniziert“ worden waren. Unser alle gegen den Strom schwimmenden rheinische Protestanten-Gruppen beschreibende Buch entstand, um eine Lücke zu füllen: Kurz zuvor hatte Simone Rauthe im Auftrag der rheinischen Kirchenleitung das Buch „Scharfe Gegner“ veröffentlicht, das überwiegend die „legalen“ Pfarrer in den Blick genommen hatte.14 Wir bildeten eine Arbeitsgruppe, schrieben über die "Legalen" und ergänzten die "Illegalen", zu denen Du wichtige Beiträge liefertest. Hinzu kamen dann noch Beiträge über Christinnen und Christen jüdische Herkunft und über engagierte Gemeindeglieder.

 Dein frühes Ringen um Gleichberechtigung im Pfarramt ging immer über den kirchlichen Tellerrand hinaus, war Bestandteil politischer, emanzipatorischer Arbeit. Die stärksten Impulse dazu gab es für Dich schon zu Beginn des „Dritten Reichs“. Nach der Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ kam für Dich in Königsberg ein scheinbar harmloser Volkstanz in einem NS-Pflichtkursus nicht mehr in Frage, weil dazu der Auftritt bei einem NS-Gautreffen gehörte. Und 1934 verweigertest Du der NS-Studentenschaft gegenüber Kurse in „Schießen“ und „Blinken, Funken, Winken“. Du wolltest kein „Flintenweib“ werden. Angriffskriegs-Vorahnungen kamen hinzu – und die aufkeimende Überzeugung, das es keine unpolitische Theologie geben kann. Du hast das im Buch „Sie schwammen gegen den Strom…“  im Biogramm über Dich selbst („Auf Gegenkurs“) lebendig beschrieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vier Kölner Vikarinnen: Aenne Schümer, Elisabeth von Aschoff, Ina Gschlössl und Annemarie Rübens vor 1933

Deine Mitwirkung beim Buch „Sie schwammen gegen den Strom…“
Seit Deiner Pensionierung im Jahr 1972 hast Du verstärkt wissenschaftlich gearbeitet und dabei auch aus dem reichen Fundus Deiner Erfahrungen geschöpft. Nach etlichen Veröffentlichungen über BK-Theologinnen hast Du 2005 im „Lexikon früher evangelischer Theologinnen“ von den rund 450 Biogrammen 96 verfasst. Viele der Frauen kanntest Du persönlich und konntest Dich gut in die verschiedenen Lebensläufe hineindenken.

Im Buch „Sie schwammen gegen den Strom…“ stammen die sieben Biogramme über „illegale“ – der BK zugehörende – Vikarinnen ebenfalls von Dir. Du beginnst aus gutem Grund mit Ina Gschlössl. Sie hatte den frühesten Durchblick auf die faschistische Politik des „Dritten Reichs“. Und sie gehörte zu den von Dir beschriebenen vier Kölner Vikarinnen.

Ina Gschlössl
„In der rheinischen Kirche“ – so schreibst Du – „gab es die Besonderheit vier gemaßregelter Theologinnen, die zusammen in Marburg studiert hatten, denen in Köln bereits 1933 gekündigt wurde und die sich später der BK anschlossen. Ina Gschlössl (1898-1989) hatte 1932 für den von Leopold Klotz herausgegebenen Sammelband ‚Die Kirche und das Dritte Reich’ einen scharfsinnigen Artikel geschrieben, der zeigt, dass es schon in jener Zeit möglich war, die nationalsozialistische Bewegung zu durchschauen.“ Und dann zitierst Du den Artikel, der mich erstaunt hatte:


 „Mit welch entsetzlichem, unmenschlichem Fanatismus wird der Judenhaß den Menschen beigebracht, man denke nur an Hitlers Buch, das in der Beziehung fast unüberbietbar sein dürfte, an die Parteiversammlungen, auf denen in unglaublicher Weise gehetzt wird und gedroht. […] Würde man auch noch versuchen, dergleichen in großen Versammlungen als in der Hitze des Gefechts unterlaufen zu entschuldigen –, in einem Buch ist das nicht zu entschuldigen bei dem Führer einer Partei, die sich für die einzige Beschützerin des verfolgten Christentums hält. Wer heute hetzt, mit Gewalttat droht, der hat sich morgen mit der Schuld für Totschlag und alle Rohheit belastet[…]
Was hat [unsere evangelische Kirche] zu erwarten, wenn sie[…] in Blindheit gegen ihren Auftrag bedenkenlos all diese heidnisch-religiösen, politischen, weltlichen Strömungen ungefragt und unkritisiert in sich einmünden lässt? Doch eine schlimme Bedrohung ihrer christlichen Substanz, eine Verkürzung ihres tiefsten Gehalts, die nie und nimmer ausgeglichen oder gut gemacht werden kann. 15


Die Kölnerin Ina Gschlössl hatte nach Volks- und Sozialwissenschaft Theologie studiert, in Marburg mit dem Fakultätsexamen abgeschlossen und war ein Jahr später städtische Religionslehrerin an einer Kölner Berufsschule geworden. 1930 hatte sie mit sieben Kolleginnen die „Vereinigung evangelischer Theologinnen“ gegründet. Ihr Ziel: Die volle Gleichberechtigung der Frauen im Pfarramt.

In Köln wurde Ina Gschlössl SPD-Mitglied und scharfe Analytikerin der NS-Ideologie. Du, liebe Ilse, hast ebenfalls immer politisch Klartext geredet, und so beschreibst Du auch, wie die Gleichgesinnte Berufsverbot erhielt:

„…Auch im Religionsunterricht nahm sie kein Blatt vor den Mund. Das wurde ihr 1933 zum Verhängnis: Eine Schülerin zeigte sie an, vor allem, weil sie Hitlers Judenpolitik kritisiert hatte. Daraufhin wurde sie sofort aus dem städtischen Dienst entlassen. Begründung: Sie habe am 3. Juli 1933 ‚ungeziemende Bemerkungen über den Herrn Reichskanzler und andere Staatsmänner gemacht und sich über die Judenfrage in einer Art und Weise ausgelassen, die jedes Verständnis für den nationalen Standpunkt vermissen läßt.’ An sich hätte sie jetzt in ein Vikariat eingewiesen werden können. Aber ihr war klar, dass sie beim Kölner DC-Presbyterium keine Chance mehr hatte. So zog sie es vor, ‚abzutauchen’ und bei einer Arzt-Familie ihren bescheidenen Lebensunterhalt durch Unterrichtung und Betreuung eines behinderten Kindes zu verdienen.“

Annemarie Rübens
Deinem Biogramm über Ina Gschlössl folgt das über Annemarie Rübens, und auch da kommst Du schnell auf den politischen Punkt:
„1927 […] wurde sie Vikarin beim Kölner Pfarrer Georg Fritze. Sie traf damit auf einen Gesinnungsgenossen, der – wie die rheinischen Religiösen Sozialisten insgesamt – schon Ende der zwanziger Jahre das Pfarramt für Frauen gefordert hatte. Die zweite Hälfte des Gemeindevikariats verbrachte Annemarie Rübens bei Pfarrer Hans Encke in Köln-Riehl. Dann folgte ein Jahr Arbeit für alte Menschen in den ‚Riehler Heimstätten’. In dieser Zeit trat sie in die ‚Bruderschaft Sozialistischer Theologen’ und die SPD ein.“

Annemarie Rübens wurde Religionslehrerin an einer Berufsschule, legte das Zweite Theologische Examen vor dem Konsistorium ab und wurde Gemeindevikarin. Auch ihr Berufsverbot wird von Dir deutlich beschrieben. Ross und Reiter werden genannt:

„Im Zuge der hemmungslosen Propaganda gegen die ‚Linke’ in Kirche und Staat im Sommer 1933 fühlte sich auch das Kölner Presbyterium gestärkt, gegen die sozialistische Vikarin vorzugehen. Sein Vorsitzender Pfarrer Karl Köhler – später auch schärfster Verfolger der Kölner Pfarrer Fritze und Flatow und des Kirchenmusikers Julio Goslar – erreichte Annemarie Rübens’ Entlassung. Man beanstandete ihre ‚Haltung zur politischen Neuordnung’. Dabei mag neben ihrer jetzt verbotenen SPD-Mitgliedschaft auch eine Predigt in den ‚Riehler Heimstätten’ eine Rolle gespielt haben, in der sie vor ‚der Flut des Hasses gegen unsere jüdischen Volksgenossen’ gewarnt hatte. Die Entlassung wurde auf den 15. Oktober 1933 festgesetzt. Bis dahin galt sie als beurlaubt. Ihr war nach der Kündigung bewusst, dass sie bei ihrer politischen Gesinnung auf die Dauer nicht in Deutschland bleiben könnte. Im August 1933 setzte sie sich bei Nacht und Nebel mit dem Fahrrad nach Holland ab.“

Sie wanderte 1936 nach Uruguay aus, wo sie zuerst Kindern politischer und jüdischer Emigranten, später Kindern der „Tupamaros“, einer Befreiungsbewegung gegen die Militärregierung, Zuflucht gewährte. 1975 entzog sie sich der drohenden Verhaftung und blieb in Deutschland. Du beschließt Dein Biogramm kurz, bündig und politisch: „In Göttingen engagierte sie sich fortan in der Friedensbewegung.“

Aenne Schümer, verh. Traub
Über dieses Biogramm setztest Du eine Überschrift, die im Grunde auch für die andern gilt: „Widerständig, solidarisch, emanzipiert“. Wie ihre Freundinnen Ina Gschlössl und Annemarie Rübens studierte Aenne Schümer in Marburg, trat in die SPD ein, wurde Vikarin in Köln – und erhielt Berufsverbot. Du schreibst:
„Als das DC-Presbyterium Annemarie Rübens wegen ihrer politischen Einstellung kündigte, sahen es Aenne Schümer und ihre Freundin Elisabeth von Aschoff als ihre Christenpflicht an, sich mit ihr solidarisch zu erklären. Denn auch sie gehörten beide zur SPD. Schon am 27. Juli 1933 erhielt sie die Mitteilung, sie sei ab 1. August aus politischen Gründen entlassen. Damit gab es für sie auch keine Möglichkeit mehr, im Schuldienst beschäftigt zu werden. Ohne Verdienst blieb ihr nur die Möglichkeit, sofort Köln zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Sie überließ es Elisabeth von Aschoff, gegen diesen Entscheid, der sie beide betraf, noch anzugehen.“

Elisabeth von Aschoff, verh. Bizer
Auch sie hatte in Marburg studiert, war sowohl Mitglied im „Verband evangelischer Theologinnen“ wie der SPD und wurde 1929 ebenfalls Vikarin bei Pfarrer Fritze in Köln und unterrichtete nebenamtlich an einer Berufsschule. 1933 wollte die Stadt Köln ihren Dienst nur noch zulassen, wenn die Kirche ihn bezahlen würde. Das nun folgende kirchenamtliche Taktieren und Lavieren hast Du brillant beschrieben – so etwas war Dir ja nicht unbekannt:

„Als dann noch ihrer Freundin Annemarie Rübens 1933 vom Kölner Presbyterium wegen ihrer politischen Einstellung gekündigt wurde, erklärte sie sich zusammen mit Aenne Schümer mit ihr solidarisch. Das hatte für sie dieselben Folgen. Sie verhandelte dann noch eine Zeit lang mit dem - Kölner Superintendent Georg Klingenburg. Da sie sich formal verbindlich zeigte, meinte er, von ihr politische Abstinenz fordern zu können. Sie fügte jedoch sofort hinzu: ‚Ich möchte ebenso wenig Zweifel daran lassen, dass ich ein Verbot solcher aus Gewissensgründen notwendigen Kritik nicht werde einhalten können.’ Ebenso machte sie deutlich, dass sie kein Angebot einer Tätigkeit annehmen könnte, das nicht in gleicher Weise auch ihren Freundinnen gemacht werde. Der Superintendent lavierte. Einerseits wusste er um den Wert der Arbeit dieser Frauen, andererseits konnte er ihre von ihnen nicht aufgegebene sozialdemokratische Gesinnung nicht akzeptieren. So schob er im Dezember 1933 die Entscheidung dem Konsistorium zu und gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Vikarinnen ‚auf einem kirchlichen Gebiet, auf dem sie unbelastet ihre Arbeit neu beginnen können, sich unter geeigneter Leitung zurechtfinden würden’. Es handele sich ja ‚wirklich um tüchtige, sehr selbstlose, charaktervolle Persönlichkeiten, die aus ehrenwerten kirchlichen Familien’ stammten, nun allerdings ‚Irrwege’ betreten hätten.“

Soweit Deine ebenso empathische wie ironische Darstellung. Es kam damals, wie es kommen musste: Elisabeth von Aschoff wurde schließlich zusammen mit Annemarie Rübens und Aenne Schümer aus der Liste der Kandidatinnen gestrichen.

Emmi Bach, verh. Mühlen
Sie arbeitete nach ihrem Ersten Examen 1933/34 in Düsseldorf an einer Berufsschule, wurde aber vom Konsistorium vor allem wegen ihrer Mitgliedschaft in der zur BK gehörenden „Bruderschaft der Hilfsprediger und Vikare“ entlassen. Dem folgte auch hier ein kirchenamtliches Lavieren, das Du wieder unnachahmlich beschreibst:

„Als das Konsistorium merkte, wie viele Theologen und Theologinnen ihm durch Streichungen aus der Kandidatenliste verloren gingen, versuchte es, sie zurückzuholen. So erhielt auch Emmi Bach im September 1934 ein entsprechendes Schreiben. Der Schönheitsfehler: Von den „Rebellen“ wurde Gehorsam dem Konsistorium gegenüber und Austritt aus der ‚Bruderschaft rheinischer Hilfsprediger und Vikare’ der BK verlangt. Nach einem Jahr der Bewährung sollte dann über die Zulassung zum Zweiten Examen und dann auch eine endgültige Verwendung entschieden werden. Für Emmi Bach kam das nicht in Frage.“

Nach dem Zweiten Examen bei der Bekennenden Kirche unterrichtete sie 1935 bis 1938 evangelische Mädchen in einem Heim in Rattingen, die keinen Volksschulabschluss hatten, in Religion, Deutsch und Geschichte. „Bei halbjährigen Prüfungen waren Vertreterinnen der NS-Frauenschaft anwesend, die mit der Zeit merkten, dass sie politisch nicht ‚gleichgeschaltet’ war.“ Es kam, wie es kommen musste, und Du beschreibst es: „Die Gaufrauenschaftsleitung stellte Emmi Bach vor die Wahl, entweder der NS-Frauen-schaft oder dem NS-Lehrerbund beizutreten. Da für sie beides nicht in Frage kam, kündigte sie. Danach war sie drei Monate lang arbeitslos“, bevor sie in der BK weiterarbeiten konnte.

Die drei Sozialdemokratinnen
Du hast das Verdienst, liebe Ilse, im Buch „Sie schwammen gegen den Strom…“ deutlich auf das Engagement der drei Sozialdemokratinnen bzw. (religiösen) Sozialistinnen hingewiesen zu haben, die damals politische Ausnahmeerscheinungen im Protestantismus waren – sogar in der BK. Schon vor dem „Dritten Reich“ war ja ein Dialog mit Demokraten, Sozialisten oder gar Kommunisten in der evangelischen Kirche kaum zustande gekommen. Die religiösen Sozialisten, die in Georg Fritze, „dem roten Pfarrer von Köln“, einen markanten Vertreter hatten, waren – um einen Ausdruck aus späterer Zeit zu benutzen – eine „kleine radikale Minderheit“. Zu sehr war man selbst in der BK noch der preußischen Vergangenheit verhaftet, in der die Linken im Lande als gottlose „Vaterlandsverräter“ betrachtet und angeprangert wurden. Mit dem Sozialistengesetz hatte Bismarck die SPD zerschlagen, mit den Sozialgesetzen ihr das Wasser abgraben wollen. Erst in der Kriegsgefangenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Theologen und engagierte Gemeindeglieder in intensive Gespräche mit Sozialdemokraten und Kommunisten. Auch die im Wesentlichen außerhalb der Kirchen entwickelte Vorstellung von Grund- und Menschenrechten hatte in der BK noch kein Gewicht. Deshalb schwieg sie auch angesichts der politisch und rassisch Verfolgten und der homosexuell liebenden Menschen. Lange Zeit blieben prägend die gesellschaftlich-politischen Nachwirkungen des Bündnisses von Thron und Altar. Seit den Zeiten der evangelischen Landesfürsten und später der preußischen „Könige von Gottes Gnaden“ hatte man sich an solche Obrigkeiten gewöhnt, die die Kirchen nach ihren Vorstellungen gestalteten, schützten und kontrollierten. Hinzu kam die vom Apostel Paulus und von Martin Luther gepredigte Forderung, der „Obrigkeit untertan“ zu sein.

Du warst auf „Gegenkurs“, warst frei von jedem Untertanengeist gegenüber Kirche oder Staat. Deine Widerstandskraft hat Dich trotz körperlicher Einschränkungen weiter aufrecht gehen lassen. Du bist – das habe ich bei unseren Telefonaten im Oktober gespürt – hellwach und lebendig geblieben. Da-rin liegt wohl auch der Grund dafür, dass Du und fast alle von Dir porträtierten Frauen so erstaunlich und erfreulich alt wurden: Ina Gschlössl und Annemarie Rübens wurden 90, Anne Traub, geb. Schümer immerhin 78, Elisabeth Bizer, geb. Aschoff 99 und Emmi Bach 94 Jahre alt!

Du übertrumpfst sie alle noch. Und Du liest, schreibst, telefonierst, empfängst Gäste – und gehst auch noch einkaufen! Du bleibst vorbildlich und ein Ansporn für Leute, die zu früh aufhören, sich zu empören und zu engagieren, die meinen, sie seien für Dieses und Jenes zu alt. Ich freue mich, weiterhin Dein „na und“ und Deinen Klartext zu vernehmen.

Alles, alles Gute zum „100.“ – wünscht Dir Dein alter Berufsschulkollege, Soki-Freund und -Bruder Klaus

Seite 125 – 129 Paul Gerhard Schoenborn: „Der Streit um die Frauenordination“ – ein ökumenischer Denkzettel??

Verehrte Frau Dr. Härter, liebe Schwester in Christus, meine Frau und ich grüßen Sie herzlich zu Ihrem einhundertsten Geburtstag. Wir danken mit Ihnen Gott, dass er Ihnen ein so langes, reiches Leben geschenkt hat, in dem Sie so vielen Menschen zum Segen werden durften. Wie vielen Menschen haben Sie mit Rat und Tat, mit streitbaren Impulsen oder mit umsichtigem, seelsorgerlichem Rat weitergeholfen!

Wir denken an einige gute Begegnungen mit Ihnen, an die Sie sich im Einzelnen vielleicht gar nicht erinnern werden. Ich will Ihnen kurz davon erzählen:

Es war im Sommer 1984. In der Barmer Immanuelskirche zeigte die Evangelische Kirche im Rheinland die große Gedächtnisausstellung zum fünfzigsten Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung. Zu meinen damaligen Aufgaben gehörten die Erarbeitung von pädagogischem Begleitmaterial und die Begleitung der Ausstellung. Eines Tages riefen Sie mich an. Ich hatte wohl von Ihrer früheren Arbeit hier in Wuppertal gehört, war Ihnen aber noch nicht persönlich begegnet. Ohne Umschweife fragten Sie, wann Sie mit einem jungen Kirchenhistoriker aus der DDR namens Hartmut Ludwig kommen und die Ausstellung sehen könnten. „Und, Bruder Schoenborn, Sie werden uns doch durch die Ausstellung führen und uns das eine oder andere näher erläutern?“ Und so geschah es. Ich lernte Sie dabei persönlich kennen und ebenso Hartmut Ludwig, den ich bereits als Autor eines bemerkenswerten Beiheftes der „Jungen Kirche“ über die Entstehung des Darmstädter Wortes wahrgenommen hatte. Seitdem blieb ich sowohl mit Ihnen wie auch mit Hartmut Ludwig in Kontakt.

Im August 1995 erhielt ich unerwartet einen Brief von Ihnen. Gerade war in „Transparent – Zeitschrift für die kritische Masse in der rheinischen Kirche“ ein Aufsatz von mir über den dänischen Pfarrer und Dichter Kaj Munk erschienen, den am 4. Januar 1944 ein SS-Terrorkommando verhaftet und erschossen hatte. Sie schrieben mir: „Wenn es auch heute nur ein kurzes Schreiben wird, so möchte ich Sie doch wissen lassen, wie sehr mich Ihr Artikel in „Transparent“ bewegt und gefreut hat. Ich fühle mich immer beschämt, wie konkret Kaj Munk als Christ in politischer Verantwortung gepredigt hat, wie deutlich er die Nazis und die Kollaborateure und die Untaten beim Namen nannte. […] Ich habe von ihm erst nach Kriegsende gehört […] Ich brachte mir dann 1949 und 1951 aus Holland Predigten und einen Band seiner Reden mit und bedauerte es sehr, dass zu der Zeit bei uns noch nichts von ihm zugänglich war. Schließlich lieferte Pastor Munk einen wichtigen Betrag zum bei uns noch immer strittigen Thema der politischen Predigt. […] Ich hoffe und wünsche, dass durch Ihren Artikel auch Jüngeren ein Impuls gegeben wird, sich mit diesem Dänen zu befassen und von ihm für die Diskussion in unserer Kirche zu lernen […].“ Über diesen Ihren sehr persönlichen Brief habe ich mich sehr gefreut. Sie schenkten mir sogar eines Ihrer holländischen Kaj-Munk-Bücher: „Actuele Eeuwigheid“, Den Haag 1949.

Es entspann sich ein Briefwechsel mit Ihnen, der für mich den Beleg dafür darstellt, dass jedenfalls einige evangelische Christen aus dem Kreis der Kirchlichen Bruderschaften der ersten Nachkriegsjahre von Kaj Munk wussten. Er wurde erst in den Jahren der konservativen Rückentwicklung der Bundesrepublik nachhaltig vergessen, während man in der DDR durch Alfred Otto Schwedes Biografie oft und gründlich an ihn erinnert wurde.

Am 29. Januar 1997 schrieben Sie mir auf einer Otto-Pankok-Karte „Gehender Jude“ unter anderem: „ […] Dass ich um Kaj Munk wusste, ist kein besonderes Verdienst. Ich bin immer nach 1945 als Betroffene, weil zu diesem (deutschen) Volk Gehörige, ins Ausland gefahren und habe überall nachgeforscht, wie haben diese Länder die NS-Herrschaft erlebt und habe mir immer entsprechende Bücher mitgenommen (Norwegen, Dänemark, Großbritannien, Holland, Kanalinseln, Frankreich). Ich fuhr nirgendwo als Touristin hin, sondern wusste um eine Verpflichtung. Und weil ich suchte, fand ich und hatte die große Chance, dort mit Betroffenen ins Gespräch zukommen. Das war ein Geschenk für mich und meine Arbeit […].“

Wir sind uns dann gelegentlich auf der Kirchlichen Hochschule hier in Wuppertal begegnet, wo Sie als Zeitzeugin und Anregerin das sogenannte Frauenprojekt begleiteten. Ich sehe Sie noch energischen Schritts über den Innenhof der Kirchlichen Hochschule eilen. Eine Frucht war das gewichtige Werk: „Der Streit um die Frauenordination in der Bekennenden Kirche. Quellentexte zu ihrer Geschichte im Zweiten Weltkrieg“16. Meine Frau und ich waren zur Buchpräsentation im Landeskirchenamt in Düsseldorf eingeladen und erinnern uns noch gern an die Gespräche mit Ihrer Schwester und Ihnen. Meine Rezension dieses Werkes erschien nicht nur in „Transparent“, sondern auch in der Jesuitenzeitschrift „Orientierung“ (Jahrgang 62/Nr. 2/1998) und in der kritischen katholischen Zeitschrift „Imprimatur“ (Nr. 1/1998) - sozusagen als ökumenischer Denkzettel. Der ironische Titel lautete: „Männerbeine gehören auf die Kanzel. Punkt!“

Ich hoffe, es geschieht zu Ihrer Freude, wenn ich einige Passagen aus meiner damaligen Buchvorstellung zitiere. Denn dieses kirchengeschichtlich bedeutsame Buch ist zu großen Teilen Ihr Werk:

„In diesem gewichtigen Werk geht es um viel mehr, als der Titel anzeigt. Der Streit um die Frauenordination - besonders in der Bekennenden Kirche innerhalb der Altpreußischen Union - zeigt sich in Wahrheit als Abwehrkampf kirchenleitender Brüder. Mit allem nur denkbaren Aufwand an Ausschusssitzungen und Synodalvorlagen, biblisch-exegetischen, kirchengeschichtlichen und praktisch-theologischen Expertisen, Verordnungen und Entwürfen für Segnungs- beziehungsweise Ordinationsformulare wurde darauf hingearbeitet, dass Theologinnen grundsätzlich das volle Pfarramt nicht übertragen wurde, auch nicht in den Notzeiten des Zweiten Weltkriegs. Manches wirkt dabei auf den heutigen Leser schon recht kurios: […] Die öffentliche Verkündigung im Hauptgottesdienst konnte selbstredend niemals Sache einer ordinierten Theologin sein. Deren Dienst am Worte Gottes sollte nur in nichtöffentlichem Rahmen geschehen, im Frauengefängnis, im Krankenhausgottesdienst oder in der Jugendarbeit. Die Gemeindeleitung, auch ein zentraler öffentlicher Dienst der Kirche, konnte ihr ebenfalls nicht übertragen werden. Bei den Engpässen der gemeindlichen Versorgung infolge des Zweiten Weltkrieges sollten zunächst Älteste, nichtordinierte Laien, selbstredend Männer, zur Vertretung im Leitungs- und Verkündigungsamt herangezogen werden, danach eventuell Pfarrfrauen mit Lesepredigten - auch solche ohne Theologiestudium. Nur wenn sich auch das nicht machen ließe, sollten ausgebildete, examinierte, ordinierte Vikarinnen aushelfen. Ein merkwürdiger Abwehrkampf […].

Ich male mir aus, was es bedeutet hätte, wäre man mit gleicher Energie gegen die Versuche des Instituts zur Entjudung des Christentums in Eisenach angegangen, Jesus aus Galiläa zum Arier zu machen. Oder wenn man sich gar zur Verteidigung der elementaren Menschenrechte im Dritten Reich eingesetzt hätte: zur Rettung der Juden, für das Überleben der russischen Kriegsgefangenen, für die humane Behandlung der Zwangsarbeiter, gegen die ganz und gar ungerechten Eroberungsfeldzüge Hitlers. Alles das ist bekanntlich, bis auf Ausnahmen, unterblieben. Stattdessen: Auseinandersetzungen um das besondere Theologinnenamt.
Dem heutigen Leser offenbart sich in vielen Texten jener Zeit ein Frauenbild, das sich an biblischen Aussagen orientieren möchte, vor allem an Paulus, aber weit mehr den anthropologischen Theorien eines anti-modernen Zeitgeistes verhaftet ist, Theorien, die - hart gesagt - deutsche Nazi-Parteigenossen und treue Streiter der Bekennenden Kirche sich in gleicher Weise zu eigen machten: Bestimmung der Frau ist es, Ehefrau und Mutter zu sein und sich der Führung des Mannes zu unterwerfen, jegliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann ist ontologisch unmöglich. Innerhalb der Kirche ergänzte man: Es kann für Frauen, die eigenverantwortlich in der Kirche mitwirken möchten, nur ein besonderes „Frauenamt“ geben, das der Diakonisse. Falls Frauen sich durch ein Theologiestudium qualifizierten, sollten sie den lebenslangen Zölibat geloben und als „theologisch gebildete Diakonissen“ zu besonderen Diensten eingesegnet werden! […]

Doch die Frauen haben schließlich innerhalb der deutschen evangelischen Landeskirchen das volle Pfarramt erkämpft […]. Mich haben die Mitteilungen und Arbeitsberichte der betroffenen Theologinnen besonders angerührt. Symbole des damaligen Streits sind die Faksimiles der Einsegnungs- bzw. Ordinationsurkunden von Hanna Klein (S. 41), Elisabeth Grauer (S. 46f) und Ilse Härter (S. 350f) mit ihrer jeweiligen Ferne oder Nähe zu den üblichen Ordinationsurkunden für Männer […]. Überaus aufschlussreich sind die Stimmen der betroffenen Theologinnen - zum Beispiel von Elisabeth Freiling und Hannelotte Reiffen - in ihrer Mischung aus Verständnis, Entrüstung und Beharrlichkeit, entlarvend die Positionen, die manche Leitfiguren des Kirchenkampfes - vor allem solche aus dem Rheinland - einnahmen.

Schließlich kam es zu zukunftsweisenden Lösungen, teils durch mutige Einzelkämpfer wie Kurt Scharf, der an den Beschlüssen der 11. Synode der BK-APU vorbei Ilse Härter und Hannelotte Reiffen ohne jede Einschränkung am 12. Januar 1943 ordinierte, teils durch Oberkonsistorialräte der DEK, die pragmatisch von der prekären Versorgungslage der Gemeinden her argumentierten. […]

Dass Frauen in den evangelischen Landeskirchen die volle Ordination zum öffentlichen Pfarramt erhalten und ihren männlichen Kollegen kirchenrechtlich in allen Punkten gleichgestellt sind, gehört zu den wichtigsten kirchengeschichtlichen Entwicklungen dieses Jahrhunderts. Die heutigen Theologinnen leben von dem, was ihre Schwestern vor zwei Generationen unter vielen Demütigungen durchgesetzt haben.“

Verehrte Frau Dr. Härter, liebe Schwester in Christus, nun wünschen meine Frau und ich Ihnen weiterhin pax et bonum und Tag für Tag Gottes gnädiges Geleit.

In herzlicher Verbundenheit
Ihr
Paul Gerhard Schoenborn



 1  Ilse Härter, Persönliche Erfahrungen mit der Ordination von Theologinnen in der Bekennenden Kirche des Rheinlandes und in Berlin/Brandenburg, in: Günther van Norden (Hg.), Zwischen Bekenntnis und Anpassung. Aufsätze zum Kirchenkampf in rheinischen Gemeinden, in Kirche und Gesellschaft, Köln 1985, 193-209, hier: S. 196 (im Folgenden: Härter, Erfahrungen).

2  Undatierter Lebenslauf, enthalten in der Personalakte, Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland.

3  Sonntagsblatt - Evangelische Wochenzeitung für Bayern, Ausgabe 22/2004 vom 30.5.2004.

4  Aus einem Brief des Superintendenten Ehrich, zitiert in Härter, Erfahrungen, S. 194.

5  Abschrift im Archiv des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche im Rheinland.

6  Schreiben vom 17.1.1983, enthalten in der Personalakte, Archiv des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche im Rheinland.

7  Härter, Erfahrungen, S. 196.

Vgl. Härter, Erfahrungen, S. 202f

9  Schreiben vom 17.1.1992, enthalten in der Personalakte, Archiv des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche im Rheinland.

10  Vgl. Birgit und Traugott Jähnichen, Hannelotte Reiffen – Ein konsequenter Weg in der Bekennenden Kirche, in: Frauen in dunkler Zeit. Schicksal und Arbeit von Frauen in der Kirche zwischen 1933 und 1945. Aufsätze aus der Sozietät ‚Frauen im Kirchenkampf’, hg. v. Susi Hausammann u.a., S. 49-76, hier 68f.

11  Grußwort anlässlich der Verleihung der theologischen Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule Wuppertal an Ilse Härter am 31.1.2006.

12  Vgl. Ilse Härter, Vor politischen und kirchlichen Oberen schreckte sie nicht zurück. Ina Gschlössl wird 90 Jahre, in: Junge Kirche 49 (1988), 606-609; dies., Ina Gschlössl (1898-1989), in: Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, hg. v. Hannelore Erhart, Neukirchen-Vluyn 2005, 144.

13  Vgl. Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, hg. v. Günther van Norden und Klaus Schmidt, Köln 2006, 22007, 58-77 (Beiträge von Ilse Härter).

14 Vgl. Simone Rauthe, „Scharfe Gegner“. Die Disziplinierung kirchlicher Mitarbeitender durch das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz und seine Finanzabteilung von 1933 bis 1945, Bonn 2003.

15  Ina Gschlössl, [Die Kirche und der Nationalsozialismus], in: Leopold Klotz (Hg.), Die Kirche und das dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen, Bd. 2, Gotha 1932, S. 55ff.

16  Herausgegeben von Dagmar Herbrecht, Ilse Härter, Hannelore Erhart, Neukirchen-Vluyn 1997.



 

 

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