Wie sozial ist die Kirche?

Der Umgang der Ev. Kirche mit ihrem Geld, ihren Beschäftigten und dem Leitbild der „Dienstgemeinschaft“
Von Hans-Jürgen Volk

War die Kirche lange Zeit in struktureller Hinsicht dem öffentlichen Sektor zuzuordnen, so haben sich seit etlichen Jahren die Gewichte verschoben. Sie gleicht im Verbund mit ihren diakonischen Einrichtungen immer mehr marktorientierten Unternehmen, für die der eigene unternehmerische Erfolg an erster Stelle steht und eine Gemeinwohlorientierung nur insoweit Beachtung findet, als sie diesen nicht in Frage stellt. Unternehmen sind von Natur aus „egoistisch“. Die ideologische Unterweisung der neoklassischen Ökonomie stellt unbeirrbar fest, dass genau dieser Egoismus dem Gemeinwohl am effektivsten dient, mag die Wirklichkeit auf noch so bedrängende Weise das Gegenteil belegen. Die Ev. Kirche hat sich einem „Reformprozess“ unterzogen, der sich im Kern an einer betriebswirtschaftlich orientierten Neugestaltung ihrer Organisation ausrichtet. Sie mutiert so zu einem Dienstleistungskonzern mit religiösen und diakonischen Angeboten. Zunehmend prägt dies den Umgang mit ihrer Mitarbeiterschaft ebenso wie den Umgang mit ihrem Geld.

Wem die Kirche dient

Eine Kirche sollte in der Nachfolge Christi den Menschen dienen. Den allzu menschlichen Herrschafts- und Karriereambitionen einiger seiner Schüler hält Jesus entgegen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Vgl. Matthäus 20,28) Damit ist eine wesentliche Funktion von christlicher Existenz und von Kirche-Sein vorgeben: Der Dienst an den Menschen - auch und gerade im Konflikt mit den Herrschenden; also eine Kirche, die sich in diesem Dienst selbst aufs Spiel setzt und die Integrität ihrer organisatorischen Existenz riskiert.

Die Evangelische Kirche in Deutschland setzt andere Akzente. Ein Kernelement der Kirchenreform ist die sog. „Umkehrung der Begründungspflicht“. Sie wurde im Juli 2004 vom Rat der EKD beschlossen und in das 2006 erschienene Impulspapier „Kirche der Freiheit“ aufgenommen, in dem sie als „Zukunftsgrundsatz für den anstehenden Mentalitätswechsel und den dazu gehörenden Paradigmenwechsel“ hervorgehoben wird. Sie lautetet: „Nicht mehr die lange oder gute Tradition einer Aufgabe ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung. Bei jeder finanziellen Unterstützung durch die EKD muss die Frage überzeugend beantwortet werden können, ob es für die Zukunft des Protestantismus in Deutschland von herausragender Bedeutung sei, diese Aufgabe fortzusetzen. Was würde der evangelischen Kirche fehlen, wenn es diese Aufgabe nicht mehr gäbe? Dieses Kriterium führt in allen Bereichen der EKD zu einer generellen Überprüfung der Aufgaben und Unterstützungen.” (Kirche der Freiheit S. 42)

Faktisch wird hiermit einer Kirche, die vorrangig den Menschen dient, eine Absage erteilt. Priorität hat vielmehr „die Zukunft des Protestantismus“ bzw. das Wohl der evangelischen Kirche. Wer so von der Wirtschaft lernt, wie es das Impulspapier einfordert, verschreibt sich dem normalen unternehmerischen Egoismus und hinterlässt eine Leerstelle dort, wo authentisch Kirche sein sollte. Sichtbar wird eine Kirche, die primär sich selbst dient und deren Streben dem Erhalt der Integrität der eigenen Organisation gilt.

„Einfache Formel“ als kirchenpolitisches Instrument

Für eine Kirche, die den Bestandserhalt der eigenen Organisation zum primären Ziel erklärt hat, ist es nur folgerichtig, die Frage nach der eigenen finanziellen Basis in den Vordergrund zu rücken. Dies geschah seit dem Beginn des vergangen Jahrzehnts auf sehr spezielle Weise. Man entdeckte den demographischen Wandel, der bereits als zentrales Argument bei der Forderung nach einem Umbau der Sozialsysteme im politischen Raum Verwendung fand, als Problem der Kirche. Nun ist es zweifellos eine Anfrage an eine Kirche, wenn diese seit Beginn der 70-er Jahre stetig Mitglieder verliert und der Altersdurchschnitt der Kirchenmitglieder deutlich über der Gesamtbevölkerung liegt. Man brachte dieses Problem auf eine - allzu - einfache Formel, mit der man folgende „Zukunftsperspektive“ formulierte: „Die evangelische Kirche wird im Jahr 2030 ein Drittel weniger Mitglieder als 2002 haben und nur noch über die Hälfte ihrer Finanzkraft verfügen.“ (zitiert aus dem Materialheft von AG II zum Dienst- und Arbeitsrecht, das der Landessynode der Ev. Kirche im Rheinland 2006 vorgelegt wurde, S 12. In „Kirche der Freiheit“, S. 22 wird die finanzielle Entwicklung etwas differenzierter, aber mit dem gleichen simplen Endergebnis dargestellt.)

Unabhängig von dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage, die in ihrer sprachlichen Form unabwendbare Faktizität vortäuscht, wo es sich doch bestenfalls um vage Prognostik handelt, eignete sich die „einfache Formel“ hervorragend als kirchenpolitisches Instrument. Auf zahllosen Kreis- und Landessynoden wurde sie zitiert. Exponierte Kirchenvertreter verschafften ihr eine Autorität, die kaum noch hinterfragt wurde. Der „Mentalitätswechsel“ vollzog sich, Presbyterien und Synoden wurden eingestimmt auf Grausamkeiten, die sich vor allem gegen die Beschäftigten der Kirche richteten. Noch heute gilt es als Vielen als unumstößliche Tatsache, dass Kirchensteuermittel und Finanzkraft zurückgehen - und das auf Grund des demographischen Wandels und des Mitgliederverlustes.

Die Realität sieht anders aus. Hier eine Übersicht der Netto-Kirchensteuereinnahmen der Ev. Kirche im Rheinland seit 2005:

Nettokirchen-
steuer-
Aufkommen
(Verteilbetrag)
in Euro
2005
492 Mio.
2006
499 Mio.
2007
562 Mio.
2008
599 Mio.
2009
584,8 Mio.
2010
560,00 Mio.
2011
570,00 Mio.
2012
571,8 Mio.
Schätzung
2013
575,4 Mio.
Schätzung

 

 Hieraus ergibt sich: Gegenüber 2005 sind die Einnahmen aus Kirchensteuermitteln um 83 Mio. € (19%) gestiegen. Dass dies deutlich über dem Kaufkraftverlust liegt und das genaue Gegenteil vom Rückgang kirchlicher Finanzkraft jedenfalls gegenüber der finanziellen Talsohle Mitte des vergangenen Jahrzehnts bedeutet, ist offenkundig. Auch wenn man das in der rheinischen Variante der „einfachen Formel“ benannte Basisjahr 2002 zu Grunde legt, ist die Bilanz positiv. Damals lag das Netto-Kirchensteueraufkommen der rheinischen Kirche bei 529 Mio. €. Gegenüber diesem Betrag wird für 2013 eine Steigerung von 46 Mio. € erwartet, was immer noch ein Plus von 8,7 % gegenüber 2002 bedeutet.

Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zahlen für 2013 eine Schätzung darstellen. Die Finanzabteilung der Ev. Kirche im Rheinland schätzt zukünftige Einnahmen nicht nur ausgesprochen vorsichtig, sodass die tatsächlichen Ergebnisse die Planzahlen fast immer positiv überbieten, sie macht auch mit großer Konsequenz einen methodischen Fehler: In ihren Vorgaben zur Haushaltsplanung suggeriert sie fälschlicherweise, die konjunkturelle Entwicklung würde sich zeitnah auf die Kirchensteuereinnahmen auswirken. Dies ist nicht der Fall, wie ein Blick auf die Jahre 2008 und 2009 überdeutlich zeigt. 2008 lag das Ergebnis bei einer deutlichen Steigerung gegenüber 2007 nahe 600 Mio. € trotz des abrupten wirtschaftlichen Einbruchs durch die Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008. Auf Grund dieser Krise rechnete man im Rheinland für 2009 mit einem deutlichen Einbruch bei den Kirchensteuereinnahmen und einem Verteilbetrag unter 500 Mio. €. Tatsächlich erbrachte das Jahr 2009 mit fast 585 Mio. € das zweitbeste Ergebnis des Jahrzehnts.

Dies ist zu erklären durch den Tatbestand, dass die Kirchensteuereinnahmen eine wirtschaftliche Situation wiederspiegeln, die in der Regel mindestens 1 bis ca. 3 Jahre in der Vergangenheit liegt. Auch bei der Lohnsteuer ergibt sich diese Zeitverzögerung, wobei sich hier Kurzarbeit und Verlust des Arbeitsplatzes auch kurzfristiger auswirken können. Bei der Einkommenssteuer können sich deutlich gestrecktere Zeiträume ergeben, hinzukommt die wachsende Bedeutung des Clearingverfahrens. So reflektieren die guten Ergebnisse der Haushaltsjahre 2008 und 2009 die wirtschaftliche Situation der Boom-Jahre 2006 und 2007, wohingegen die schwächeren Einnahmen der Jahres 2010 und 2011 durch den wirtschaftlichen Einbruch ab Ende 2008 und die damit einhergehende verbreitete Kurzarbeit und die Einkommensverluste aus unternehmerischer Tätigkeit zu erklären sind. Dass 2010 und 2011 ein beachtliches Wirtschaftswachstum, eine weitere Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt sowie eine positive Lohnentwicklung zu verzeichnen war, wird die kirchlichen Einnahmen 2013 und darüber hinaus beflügeln. Fest steht jedenfalls: der angekündigte Finanzkraftverlust findet in dem prognostizierten Ausmaß keineswegs statt!

Nicht bestritten werden soll hier der Tatbestand, dass der Kirchenaustritt von Kirchensteuerzahlern die Finanzkraft der Kirche schwächt. Dies geschah z.B. verstärkt Anfang der 90-er Jahre nach der Einführung des Solidaritätszuschlags. Auch hier ist es allerdings eine politische initiierte Abgabe gewesen, die bei Vielen durch Kirchenaustritt kompensiert wurde. Kirchenaustritte sind übrigens der Grund für die Diskrepanz zwischen den staatlichen Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer und der Kirchensteuer, die tendenziell dahinter zurückfällt. Der staatlichen Steuerpflicht kann man sich nicht so leicht auf legale Weise entziehen, wie der Kirchensteuer. Dieser Verlust an Mitgliedern, die kirchensteuerpflichtig sind, kann jedoch kompensiert werden, wenn sich die Einkommensverhältnisse der verbleibenden Mitglieder der Kirche verbessern. Dieser Effekt trat überdeutlich auf zwischen 1970 und 1994, als sich z.B. in der Ev. Kirche im Rheinland dass Nettokirchensteueraufkommen von ca. 200 Mio. € auf 640 Mio. € trotz einem Verlust von 644.000 Mitgliedern vervielfachte.

Tatsache ist, dass sich die Finanzkraft der Ev. Kirche im Rheinland seid 1994 deutlich reduziert hat. Sie wächst zwar seit 2005 stetig, hat aber noch nicht das Niveau von Mitte der 90-er Jahre erreicht. Dass eine Kirche in einer derartigen Situation Kosten reduzieren muss, entspricht verantwortlichem Handeln.

Abhängig sind die Einnahmen aus Kirchensteuermitteln von folgenden Faktoren:

  • Entscheidend ist die Finanzkraft der Mitglieder, die sich in ihrer Lohn- und Einkommensteuerpflicht niederschlägt. Dies betrifft nicht nur die Mitglieder, die in Beschäftigung sind. Beschäftigte mit geringem Einkommen sind nach dem jetzigen Steuerrecht gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang lohnsteuerpflichtig. Seit dem Alterseinkünftegesetz von 2005 betrifft dies in wachsendem Umfang auch Rentnerinnen und Rentner. Andere Versorgungsleistungen wie Pensionen unterliegen schon immer der Steuerpflicht. Dies gilt natürlich auch für Einkünfte aus Mieten, Pachten oder Kapitalerträgen.
  • Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Steuerpolitik. Die Steuerreform, die zwischen 2000 und 2005 in mehreren Stufen erfolgte, war ein wesentlicher Grund für den Einbruch bei den Einnahmen aus Kirchensteuermitteln Mitte des vergangenen Jahrzehnts.
  • Weitere wichtige Faktoren sind die konjunkturelle Entwicklung, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie die Entwicklung bei den Löhnen und Einkommen.

Es ist dagegen nicht möglich, die Mitgliederentwicklung oder gar die Altersstruktur der Mitgliedschaft der Kirche in einen messbaren und nachvollziehbaren Zusammenhang mit der Finanzentwicklung der Kirche zu stellen. Die benannten Faktoren reichen völlig aus, um die Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen der vergangenen Jahre zu erklären. (Vgl. hierzu: http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-geld/nichts-als-die-wahrheit.php und http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-geld/moeglichkeiten-und-grenzen-kirchlicher-finanzplanung.php.)

Mit Hilfe einer unseriösen Prognostik, die mit der tatsächlichen Finanzentwicklung wenig zu tun hat, stellt die Ev. Kirche ihre finanzielle Situation wesentlich prekärer dar, als sie es tatsächlich ist. Dies erleichtert die Durchführung von unpopulären Strukturmaßnahmen, den Abbau von Arbeitsplätzen und die Requirierung öffentlicher Gelder.

Zunehmende Abhängigkeit vom Reichtum

Die „einfache Formel“ ignoriert die wachsende soziale Ungleichheit und verschleiert die zunehmende Abhängigkeit der Kirche von ihren wohlhabenden Mitgliedern. Der „Armut- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung aus 2012 dokumentiert, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

(Vgl.: http://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Einkommen-Armut/Dokumente/Entwurf%204.%20Armutsbericht%20der%20Bundesregierung%2017.9.2012.pdf - zitiert wird hier der deutlich klarere Entwurf.)

1998 verfügten 10% der Bundesbürger über 45% des Privatvermögens, 2008 waren es bei der betreffenden Personengruppe 53%. Die untere Hälfte der Bevölkerung besaß 1998 noch 4% des Privatvermögens, im Jahres 2008 war es nur noch 1% (Vgl. S. 14 des Berichts). Fazit: die Vermögenskonzentration hat sich beschleunigt, der Mittelstand erodiert und die unteren Einkommensgruppen verlieren an Finanzkraft.

Noch prägnanter wird das Bild, wenn man einen Blick auf das Vermögen der finanzkräftigsten Bürger unseres Landes wirft (Vgl. hierzu auch die knappe aber sehr aufschlussreiche Studie des Karlsruher Instituts für Wirtschaftsforschung http://www.kiwifo.de/Darstellungen_der_Vermoegensverteilung.pdf). Das Manager-Magazin veröffentlicht regelmäßig ein Ranking der reichsten Deutschen. (Vgl. z.B. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,860164,00.html). Auf Wikipedia ist eine relativ aktuelle Liste der 500 reichsten Deutschen einzusehen: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_500_reichsten_Deutschen. Mindesten 10% aus dieser Gruppe haben ihren Wohnsitz im Bereich der Ev. Kirche im Rheinland. Dies besagt zunächst noch nicht viel, zumal auf derartigen Listen selbstverständlich nicht die Konfessionszugehörigkeit vermerkt ist. Die meisten haben jedoch ein Vermögen, dass an das jährliche Nettokirchensteueraufkommen der Ev. Kirche im Rheinland heranreicht und es zum Teil sogar deutlich übertrifft.

Die Gruppe der Vermögenden und Hochvermögenden ist selbstverständlich auch die bevorzugte Zielgruppe kirchlicher Ansprache und Zuwendung, wenn es um Fundraising und um das Stiftungswesen geht.

Erhellend ist ein Blick auf die Struktur der kirchlichen Einnahmen (vgl. hierzu http://www.ekd.de/kirchenfinanzen/assets/finanzierung_kirchlicher_arbeit.pdf - hierbei handelt es sich allerdings um ein EKD-Dokument aus 2006): aus Kirchensteuermitteln finanziert sich die kirchliche Arbeit im EKD-Bereich zu 45%. Etwa 5% der Einnahmen resultieren aus Spenden und Kollekten. Gut 20 % machen öffentliche Mittel aus. Bemerkenswerte 10% der kirchlichen Einnahmen ergeben sich aus Vermögenseinnahmen im engeren Sinne, wie z.B. Kapitalerträgen.

Beachtete werden muss, dass es hier um die Finanzierung von kirchlichen Körperschaften geht. Das weite Feld diakonischer Aktivitäten mit anderen Organisationsformen ist ausgeklammert. Bei kirchlichen Pflegediensten, Krankenhäusern oder Jugendpflegeeinrichtungen spielt die Finanzierung aus Kirchensteuermitteln eine sehr bescheidene Rolle. Überwiegend werden diese Einrichtungen aus Mitteln der Sozialsysteme oder mit Hilfe öffentlicher Fördergelder finanziert.

Hieraus ergibt sich eine dreifache Abhängigkeit:

  1. Die Kirche ist abhängig von der Finanzkraft ihrer Mitglieder, wobei die Vermögenden und Hochvermögenden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Je ausgeprägter die soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft ist, desto stärker wird der Einfluss kapitalkräftiger Gruppen nicht nur auf politische und gesellschaftliche Vorgänge, sondern auch auf Teile der Zivilgesellschaft wie die Kirchen. (Vgl. hierzu den Beitrag http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-geld/kirche-der-reichen.php)
  2. Die Kirche ist in hohem Maße abhängig von staatlicher Refinanzierung sowie von Mitteln aus den Sozialsystemen. Je höher der Grad der Refinanzierung, desto ausgeprägter ist die Abhängigkeit von Vorgaben des jeweiligen politischen Mainstreams.
  3. Auf Grund ihres beeindruckenden Kapitalbesitzes ist die Kirche abhängig vom Finanzmarktgeschehen. Es gibt gerade in Westdeutschland zahlreiche kirchliche Körperschaften, bei denen die Einnahmen aus Kapitalerträgen deutlich über dem EKD-weiten Durchschnittswert von 10% liegen und bei denen die jetzige Niedrigzinsphase zu deutlichen Einnahmeverlusten geführt hat.

Die EKD spricht bei der sog. „Umkehrung der Begründungspflicht“ von einem „Zukunftsgrundsatz“, der Kernelement des in „Kirche der Freiheit“ formulierten Reformprogramms ist. Eine Kirche, die „die Zukunft des Protestantismus“ zum entscheidenden Kriterium ihrer Neuorientierung macht, ist durch die beschriebene dreifache Abhängigkeit in besonderer Weise gefährdet. Sie läuft in Gefahr, ihre Identität als „eigenes Gemeinwesen“, das sich durch das Amt der Verkündigung wesentlich von weltlichen Ordnungen unterscheidet, aufs Spiel zu setzen (Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Ethik 9. Auflage 1981, S. 317). Sie beschädigt und entwertet dass ihr anvertraute Wort, indem sie es seiner handlungsleitenden Funktion beraubt. Wer derart die „Zukunftsfähigkeit“ der eigenen Organisation zum Mittelpunkt kirchlichen Handelns macht, verstrickt sich fast zwangsläufig in den vorhandenen Abhängigkeiten und verliert das Charisma, Kirche für die anderen zu sein. Den Opfern gilt bestenfalls folgenloser Zuspruch, der tatsächliche Schulterschluss findet statt mit den politisch und wirtschaftlich Mächtigen.

Der Umgang der Kirche mit ihren Beschäftigten

Dass motivierte Mitarbeiter/innen das eigentliche „Kapital“ eines Unternehmens darstellen, haben mittlerweile auch weite Teile der Wirtschaft verinnerlicht. Diese Grundeinsicht müsste für die Kirche in weit höherem Maße gelten, denn christlicher Glaube wird durch authentische personale Begegnung vermittelt und christlicher Dienst erfordert ein hohes Maß an Hingabe.
 
Dem zum Trotz gibt es offenkundige Missstände von kirchlichen Trägern im Umgang mit ihren Beschäftigten. Auf Grund von tariflichen Tricksereien, vielfachem Outsourcing oder dem verbreitetem Instrument der Notverordnung hat die Gewerkschaft ver.di seit einiger Zeit ihre Aufmerksamkeit der kirchlichen Arbeitslandschaft vor allem in Einrichtungen der Diakonie gewidmet. Ver.di ist es zu verdanken, dass seit dem kürzlich gefällten Urteil des Bundesarbeitsgerichts für Kirche und Diakonie ein bedingtes Streikrecht gilt. Gestreikt werden darf, wenn bei tariflichen Auseinandersetzungen und arbeitsrechtlichen Konflikten die Gewerkschaft nicht eingebunden wird. Ver.di sitzt also zukünftig mit im Boot. Man kann dies nur begrüßen und hoffen, dass dieser Tatbestand zu einer deutlichen Stärkung der Mitarbeitervertretungen gegenüber den kirchlichen Arbeitgebern führt.

Während die Gewerkschaft das Urteil als Erfolg wertet (vgl. http://www.verdi-kirchennetz.de/), sieht sich auch die Ev. Kirche bestätigt und hält unverdrossen am Konstrukt des 3. Weges und der „Dienstgemeinschaft“ fest. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider fordert immerhin „Anpassungen“ im Blick auf das Urteil ein und meint damit wohl Selbstkorrekturen. „Der Gedanke eines aus dem Glauben erwachsenen Dienstes, der nur von und in einer diesem Glauben verpflichteten Dienstgemeinschaft erbracht werden kann, hat gerade auch in einer zunehmend kommerzialisierten, unter Kosten- und Konkurrenzdruck ächzenden Soziallandschaft einen eigenen Stellenwert“, so Schneider. „Freilich gelte es, dieses Eigene kirchlicher und diakonischer Arbeit einer politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit immer wieder nahezubringen und damit zugleich die Vorzüge und die Notwendigkeit eines eigenständigen kirchlichen Rechts in diesem Bereich plausibel zu machen, so Präses Schneider: ‚Das wird freilich nur gelingen, wenn man den von diesem Recht eröffneten Weg konsequent einhält, Seitenpfade meidet und seinen Kurs für alle transparent hält.‘“ „Die zunehmende Ökonomisierung des Sozialwesens, ein sich verstärkender Konkurrenzdruck und die schmaler werden finanziellen Ressourcen der Kirchen verlangten auch von der Kirche und ihrer Diakonie Anpassung, stellte der rheinische Präses, der auch Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, fest. Gleichwohl gelte: ‚Die Kirche und ihre Diakonie müssen die Zeichen der Zeit aufnehmen und darauf reagieren. Sie dürfen dabei aber nicht den Verlockungen einer Durchökonomiserung erliegen und dabei ihren Auftrag vernachlässigen‘“ (Aus einer Pressemitteilung der Ev. Kirche im Rheinland vgl. http://www.ekir.de/www/service/ethik-und-recht-15994.php).

Hätte Schneider diese Sätze vor 10 Jahren gesagt und wären daraus sichtbare Konsequenzen gezogen worden, könnte man ihnen heute unbefangener zustimmen und sich über seine Aussagen freuen. Der traurige Tatbestand ist jedoch, dass man im gesellschaftlichen Diskurs der 90-er Jahre die eigenen diakonischen Einrichtungen nahezu widerstandslos Marktmechanismen preisgegeben und mit dem „Reformprogramm“ des Impulspapiers „Kirche der Freiheit“ die Selbstökonomisierung des kirchlichen Kernbereichs kräftig vorangetrieben hat.

Je mehr eine Kirche Konzernstrukturen entwickelt und je deutlicher sich diakonische Einrichtungen als „Unternehmen“ profilieren, desto weniger plausibel wird der sog. 3. Weg. Wenn Kirchenleitungen exklusiv „von der Wirtschaft lernen“ wollen und Gewerkschaften als Gegner betrachten, ist die Gefahr eines paternalistischen Missverständnisses des Begriffes der „Dienstgemeinschaft“ gegeben.

Auch dies hat Zeugnischarakter, wie eine Kirche mit ihren Beschäftigten umgeht. Analog zu den zahllosen politisch vorangetriebenen „Reformprojekten“ im neoliberalen Geist, die im Wesentlichen die Rechte von abhängig Beschäftigten und den materiellen Status von Empfänger/innen von Transferleistungen geschwächt haben, sind die kirchlichen Reformen in weiten Teilen faktisch gegen die eigene Mitarbeiterschaft gerichtet - und zwar unabhängig davon, ob es sich um privatrechtliche oder öffentlich rechtliche Beschäftigungsverhältnisse handelt. Als Beleg seien beispielhaft Entwicklungen aus der Ev. Kirche im Rheinland angeführt:

>  Personalplanung

In 2011 gab es in der rheinischen Kirche eine heftige Debatte zum Thema „Personalplanung“, die mit einem Beschluss der Landessynode im Januar 2012 zu einem vorläufigen Abschluss kam. Ausgelöst wurde die Diskussion durch die Vorlage an die Landessynode 2011 (vgl. http://www.ekir.de/www/downloads/LS2011_DS_04_Personalplanung.pdf). Dieses Dokument ist aus zwei Gründen bemerkenswert:

  • Es dokumentiert einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen und Stellenreduzierungen;
  • es knüpft mit Bezug auf z.B. Eph. 4,11-12 an den Begriff der „Dienstgemeinschaft“ an und stellt in seinem theologischen Kern eine Begründung des 3. Weges dar.

Daher ist es irritierend, mit welcher Vehemenz sich Vertreter/innen der Beschäftigten hinter die Positionen dieses Dokuments stellten und von ihnen eine signifikante Verbesserungen der Mitarbeiterschaft erhofften. Ob es geschickte Strategie war oder nicht, fest steht, dass die Diskussion allzu oft von einem entsolidarisierenden Gegeneinander von Pfarrdienst im Gegenüber zu anderen kirchlichen Berufsgruppen geprägt war. Schaut man sich das Dokument und die nachfolgenden Beschlüsse genauer an, so steht eindeutig die „Absicherung von Hauptamtlichkeit“ möglichst durch die Gewährleistung von vollen Stellen als Ziel obenan, keineswegs aber die Sicherheit der Arbeitsplätze. Dieses Ziel soll durch die verbindliche Kooperation verschiedener kirchlicher Körperschaften gewährleistet werden, wobei den Kirchenkreisen eine Schlüsselstellung zukommt. Entscheidend ist nun, ob dieses Anliegen aus der Arbeitgeberperspektive umgesetzt wird - natürlich hat die Großorganisation Kirche ein Interesse an qualifizierter Hauptamtlichkeit, oder ob sich Mitarbeitervertretungen mitgestaltend und mit den nötigen Informationen ausgestattet in die Personalplanungsprozesse einbringen können. Letzteres ist nicht wirklich erkennbar. Noch wesentlicher ist der Tatbestand, ob die finanzielle Basis stimmt.

>  Versorgungskasse: fragwürdige Prioritätensetzung bei den Finanzen

Ein Grund für den massiven Arbeitsplatzabbau in der rheinischen Kirche, der auch den Pfarrdienst umfasst, ist eine fragwürdige Prioritätensetzung im Blick auf den Umgang mit den finanziellen Ressourcen dieser Landeskirche. Mittlerweile fließen 22% des jährlichen Nettokirchensteueraufkommens in den Kapitalstock der Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte. Je nach Ertragslage sind dies Jahr für Jahr deutlich über 100 Mio. €. Ziel ist es, 75% der Versorgungslasten  aus den Zinserträgen dieses Kapitalstocks abdecken zu können. Grundlage der heutigen Finanzzuwendungen an die Kasse sind verschiedene versicherungsmathematische Gutachten, die von dauerhaft sinkenden Kirchensteuereinnahmen von 1,2% im Jahr ausgehen, was auf die unseriöse Prognostik der „einfachen Formel“ hinausläuft. (Auf den „Zwischenrufen“ wurde in mehreren Beiträgen ausführlich zu dieser Problematik Stellung genommen. Grundlegen sind die Beiträge http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-geld/finanzgebaren-der-ekir.php und http://www.zwischenrufe-diskussion.de/pages/kirche-und-geld/augenmass-geht-verloren-versorgungskasse.php.)

Es ist in sozialethischer Hinsicht skandalös, dass bei den Zuführungen von Finanzmitteln an die Versorgungskasse in keiner Weise die Auswirkungen auf die aktuellen Beschäftigungsverhältnisse Berücksichtigung findet. Man hält sich vielmehr stur an die Vorgaben von mit fragwürdigem Zahlenmaterial gefütterten Gutachtern unabhängig von den Folgen die Beschäftigten. Bei allem Verständnis für die große Herausforderung zukünftiger Versorgungslasten, es ist nicht in Ordnung, wenn heute Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, damit zukünftige Versorgungsansprüche abgesichert werden. Da man durch gestiegene Umlagen nicht nur im Blick auf die Versorgungskasse die finanzielle Basis der Gemeinden und damit auch der Kirchenkreise erheblich geschwächt hat, ist genau dieses allzu oft geschehen.

Allzu viele Pfarrerinnen und Pfarrer sind der Ansicht, eine Landeskirche die derartige fiskalische Prioritäten setzt, würde ihnen etwas Gutes tun. Oft wird der finanzielle Kraftakt bei der Versorgungskasse mit der Fürsorgepflicht begründet, die eine Kirche ihren Beschäftigten schuldig sei. Dass nur eine kleine Minderheit von Beschäftigten von dieser „Fürsorglichkeit“ profitiert zu Lasten anderer, wird tunlichst unterschlagen. Die überzogene Zuführung von Finanzmitteln an die Versorgungskasse ist in dem jetzigen Umfang jedoch keineswegs im Interesse der Pfarrerschaft, da hierdurch der Weg zu einem beschleunigten Abbau von Pfarrstellen geebnet wird. So hat sich im Rheinland die radikale Variante durchgesetzt, die Anzahl der Gemeindepfarrstellen von aktuell 1.277 auf 650 im Jahr 2030 fast zu halbieren. (Vgl. hierzu den interessanten Bericht über die Herbsttagung der Pfarrvertretung 2012, in dem u.a. ein Gespräch mit Oberkirchenrat Rekowski zur Personalplanung für den Pfarrdienst skizziert wird http://www.ekir.de/pfarrvertretung/2012-3-00-artikel-komplett-163.php.)

>  Existenzdruck bei vielen Beschäftigten

Zwischen 1995 und 2012 wurden in der Ev. Kirche im Rheinland 305 Gemeindepfarrstellen abgebaut. Die Zahl der Pfarrstellen sank von 1.582 auf 1.277. Im Jahr 2000 gab es noch etwa 280 Sonderdienststellen für Theologinnen und Theologen, die bis heute komplett verschwunden sind. Insgesamt wurden also fast 600 Stellen abgebaut. Andere kirchliche Berufsgruppen waren mutmaßlich noch härter betroffen. Es ist ein positiver Aspekt des Beschlusses der Landessynode 2012, dass in Zukunft die Stellenentwicklung bei diesen Arbeitsfeldern statistisch erfasst wird.

Es ist nun keineswegs so, dass der massive Stellenabbau quer durch die Berufsgruppen der rheinischen Kirche sozialverträglich von statten ging. Die Mechanismen der Finanz- und Personalverteilung sind vorrangig an den Interessen der Kirche orientiert, die Mittel einsparen möchte. Die Interessen der Beschäftigen, denen es vor allem um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes geht, spielen konzeptionell keine Rolle. Was ebenfalls keine strategische Beachtung findet sind die Interessen und Bedürfnisse der Menschen im Verantwortungsbereich der Kirche.

Die Gemeindepfarrstellen in der Ev. Kirche im Rheinland werden nach den Pfarrstellenverteilungsrichtlinien, die im Mai 2008 von der Kirchenleitung beschlossen wurde, vorrangig nach der Entwicklung der Gemeindegliederzahlen verteilt. Gleiches gilt für die Mittel aus dem übersynodalen Finanzausgleich, die die Mehrzahl der Kirchenkreise der rheinischen Kirche erhalten.
Dies führt dazu, dass wirtschaftlich prosperierende Regionen kaum einem Anpassungsdruck ausgesetzt sind und teilweise sogar neue Stellen schaffen konnten. Kirchenkreise in strukturschwachen Regionen müssen dagegen überproportional Finanzmittel einsparen und Stellen zurückfahren. Gerade in diesen Landschaften ist die kirchliche Arbeit besonders fordernd, da es sich um Regionen mit sozialen Brennpunkten oder im ländlichen Raum um Orte handelt, die vom demographischen Wandel besonders betroffen sind. Kurz: dort wo die soziale und strukturelle Not besonders groß ist, zieht man in der rheinischen Kirche Finanzmittel und Personal ab.

Für die Beschäftigten ergibt sich folgender Effekt: Eine Pfarrerin in einer Gemeinde im nördlichen Ruhrgebiet, oder ein Pfarrer in einer Gemeinde auf dem Hunsrück kann noch so gute Arbeit leisten, bei sinkenden Gemeindegliederzahlen ist die Pfarrstelle gefährdet. Gleiches gilt für die Jugendreferenten und den Kirchenmusiker in schrumpfenden Kirchenkreisen. Bedrückender noch ist der Tatbestand, dass der Bedarf nach kirchlicher Arbeit oft genug erkennbar vorhanden ist und die Reduzierung des Personals Lücken hinterlässt, die nicht zu schließen sind. Darüber hinaus ist es demotivierend, wenn zwischen der Qualität der eigenen Arbeit und der Arbeitsplatzsicherheit kein Zusammenhang mehr besteht.

Der Existenzdruck bei den Beschäftigten der Kirche ist also ungleich verteilt. Je größer die strukturelle und soziale Notlage in einer Region ist, desto mehr müssen Mitarbeiter/innen um die Integrität des eigenen Arbeitsplatzes fürchten.
Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: die Beschäftigten der Kirche werden immer älter. Da auf Grund der sinkenden Finanzkraft seit den 90-er Jahren nur noch in sehr geringem Umfang jüngere Menschen eine Anstellung fanden, dominieren in allen kirchlichen Berufsgruppen die Baby-Boomer-Jahrgänge, die zwischen 1955 und 1965 geboren sind. Menschen, die Jahre und Jahrzehnte im Einsatz für ihre Kirche gearbeitet haben, geraten immer wieder unter Existenzdruck.

Es gibt meines Wissens keine offiziell zugängliche Statistik über Burnout-Fälle, psychische Erkrankungen oder gescheiterte Ehen in kirchlichen Berufen. Nach meinem persönlichen Eindruck ist die Gefährdung in dieser Hinsicht in den letzten Jahren erheblich gewachsen ist.

Es mehren sich im Übrigen die Anzeichen dafür, dass die in „Kirche der Freiheit“ anempfohlene Strategie der Bestandsicherung und Stärkung der eigenen Organisation das Gegenteil von dem euphemistisch angestrebten „Wachsen gegen den Trend“ verursacht. Ein interessantes Detail ist in diesem Zusammenhang der zunächst verblüffende Tatbestand, dass die Anzahl der Vakanzen bei den Pfarrstellen seit 2008 sprunghaft gestiegen ist. Damals gab es in der Ev. Kirche im Rheinland 50 unbesetzte Pfarrstellen, was einem Prozentsatz von 3,7% entspricht. Ende 2012 waren es bei einer deutlich reduzierten Zahl an Pfarrstellen 113 (9%). Es ist nicht erstaunlich, dass die Masse der unbesetzten Pfarrstellen mit ungewöhnlich langen Vakanzen in ihrer Mehrzahl in den strukturschwachen Regionen der Landeskirche anzutreffen sind. Man kann davon ausgehen, dass ähnliche Entwicklungen auch bei den anderen Berufsgruppen ausgemacht werden können.

Mit ihren strukturpolitischen Maßnahmen hat die Ev. Kirche im Rheinland einen Prozess der Entsolidarisierung mit ihren strukturschwachen Regionen und den dort arbeitenden Beschäftigten vorangetrieben.

Ausblick: was not tut

Eine Kirche, die das große Arbeitsfeld der Diakonie Markkräften geopfert hat und sich in ihrem Kernbereich einem fragwürdigen Prozess der Selbstökonomisierung hingibt, läuft in Gefahr, die eigene Verkündigung zu entwerten. Aus qualitätsorientierter Gefälligkeit muss wieder das machtvolle Wort werden, das die Kirche gestaltet und das in die Welt hineinwirkt.

  • Eine Kirche, die auch mit ihrer äußeren Gestalt und Struktur, mit ihrem Umgang mit Geld und vor allem mit ihrem Umgang mit ihren Beschäftigten Zeugnis gibt von Jesus Christus, wird Korrekturen vornehmen müssen.
     
  • Sie wird redlich, vernünftig und transparent mit ihren Finanzmitteln umgehen. Das bedeutet, dass sie ihre finanzielle Situation realistisch darstellt und auf unseriöse Kampagnen zur Durchsetzung kirchenpolitischer Ziele verzichtet.
     
  • Trotz der positiven Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen seit 2005 wird sie gut daran tun, langfristig eher von einer Reduzierung ihrer heutigen Finanzkraft auszugehen. Sie wird daher voraussichtlich weiterhin auch Personalkosten reduzieren müssen. Maßstab muss hierbei aber die tatsächliche Finanzentwicklung sein.
     
  • Sie wird alles daran setzen, den notwendigen Arbeitsplatzabbau sozialverträglich zu gestalten, also wenn irgend möglich betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Es ist dringend notwendig, die vorliegenden Konzepte zur Personalplanung um den Aspekt der Sozialverträglichkeit zu ergänzen.
     
  • Sie wird ihre Finanzmittel und ihr Personal nicht ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der Gemeindegliederentwicklung einsetzen, sondern wesentlich stärker auf den tatsächlichen Bedarf achten. Soziale und strukturelle Not fordern von einer Kirche, die ihrem Auftrag folgt, verstärkten Einsatz.
     
  • Sie wird in Zukunft auf finanzielle Abenteuer wie die NKF-Implementierung und Ausflüge in die Privatwirtschaft wie den Ankauf der bbz-GmbH Bad Dürkheim verzichten. Denn dies geht zu Lasten der Beschäftigten und schwächt die finanzielle Basis der Kirche und damit ihre Möglichkeit, für andere da zu sein.
     
  • Es gibt etliche biblische Belege, die vor fragwürdiger Zukunftssicherung warnen, wie die Geschichte von der Speisung des Volkes Israel mit Wachteln und Manna (2. Mose 16), die Passage aus der Bergpredigt vom Schätze sammeln und Sorgen (Matthäus 6,19-34) oder das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lukas 12,16-21). Eine Kirche, die das ihr anvertraute Wort ernst nimmt, wird es auch im Blick auf zukünftige Versorgungslasten und all der damit verbundenen Verantwortung als handlungsleitend annehmen. Sie wird Finanzstrategien korrigieren, die sich in klarem Widerspruch zu diesem Wort befinden.
     
  • Es gibt gewiss eine biblische Fundierung des Begriffs der „Dienstgemeinschaft“. Diese verlangt aber nach einer Kirche, die sich in Solidarität mit ihren Beschäftigten und den Menschen in ihrem Verantwortungsbereich befindet. Ihre besondere Solidarität hat denen zu gelten, die soziale Not leiden. Gewerkschaften sind ein - im Moment jedenfalls - unverzichtbarer Partner auf dem Weg zu dieser Solidarität. Der Streik kirchlicher Mitarbeiter/innen kann geradezu Dienst an der eigenen Kirche sein, wenn er Verantwortungsträger in Kirche und Diakonie dazu bewegt, durch einen fairen und gerechten Umgang mit ihren Arbeitnehmern dem Begriff der „Dienstgemeinschaft“ neue Plausibilität und Glaubwürdigkeit zu geben.
 

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