Sparen bis zum Kollaps

Die Eurokrise und das Geld der Kirche
Von Hans-Jürgen Volk

„Wir leben über unsere Verhältnisse!“ sagt er mit sonorer Stimme. Er trägt einen teuren Anzug und Krawatte, das Frankfurter Bankenviertel ist sein Arbeitsplatz. Mit „wir“ meint er die Anderen, vor allem den Staat. Er selbst verdient im Monat samt Boni ein halbes Vermögen, jedenfalls deutlich mehr, als er ausgeben kann. Deswegen lebt er natürlich nicht üb er seine Verhältnisse. Aber er ist angespannt in diesen Zeiten, weil nicht nur Aktienfonds, Festgeld und andere Finanzprodukte sein eigen sind, sondern auch Staatsanleihen von Ländern, die in den vergangenen Monaten von Ratingagenturen herabgestuft wurden. Er träumt schlecht von einer Inflation, die seinen Reichtum erheblich schmälern könnte. Er sorgt sich um das System, das ihn weit über den Rest der
Menschheit hinaus hat reich werden lassen.

Von schmerzlichen Einschnitten ist die Rede, gekürzt wird bei Hartz-IV-Familien, Arbeitsplätze sollen abgebaut werden im Bereich der Bundesverwaltung und für Beamte stehen Gehaltskürzungen an. Die kalte neoliberale Ideologie, die nicht nur eine Kirche, eine Jugendpflegeeinrichtung oder ein Seniorenheim, sondern ganze Staaten gedanklich wie Unternehmen behandelt, demonstriert einmal mehr ihre ganze Einfallslosigkeit und ihre soziale Destruktivität.

Die Situation erinnert an den Spätherbst 2008. Auch damals war die Politik getrieben von den Vorgängen an den Finanzmärkten. Mit Milliardenbeträgen wurden „Schutzschirme“ erreichtet, um das Bankensystem zu retten. Die Verschuldung vieler Staaten nicht nur in Europa schnellte nach oben. Das passiert eben, wenn exorbitante Verluste sozialisiert werden. Entgegen den Einsichten des Jahres 2008 wurden die Spielregeln nicht wesentlich verändert. Und die sogenannte „Finanzindustrie“ macht Gewinne wie eh und je. Das ist der eigentliche Skandal, dass es immer noch möglich ist, mit relativ geringem Eigenkapital eine größtmögliche destruktive Wirkung zu erzielen, ein nicht zu fassendes Politikversagen! Damals standen einzelne Banken im Fokus der
Angriffe der Spekulanten. Jetzt wird gegen Staaten spekuliert, der Euro steht unter Druck. Die Sprache der Verantwortlichen erinnert an Krieg - nur ein kurzer Weg, wenn Konkurrenz und Wettbewerb die zentralen Denkkategorien sind. Die Anzugträger in den Bankenvierteln verdienen gut am System. Staaten haben mit Bürgergeld dieses System stabilisiert, dass sich nun gegen sie selbst richtet. Jetzt will man mit Sparprogrammen „die Märkte beruhigen“.

Dass immer absurder erscheinende Steuersenkungspläne endlich ausgesetzt wurden, ist nicht nur im Blick auf die Einnahmen der Kirchen eine gute Nachricht. Die kirchlichen Einnahmen werden hierdurch zumindest kurzfristig stabilisiert. Gleiches gilt für staatliche Steuereinnahmen. Den Kirchen kommt hierbei zu Gute, dass sie ihre Einnahmen aus Kirchensteuermitteln vollständig für ihre Aufgaben verwenden können, wohingegen staatliche Steuereinnahmen auch zur Schuldentilgung und zur Stabilisierung des Finanzmarktsystems sowie des Euro verwendet werden. Die Finanzlage der Kirchen wird sich also tendenziell günstiger entwickeln, als die der öffentlichen Hand. Was nun droht, ist allerdings eine von der EU-Ebene aus initiierte verschärfte Austerity-Politik. Lettland und nun vor allem Griechenland sind augenscheinlich nur die Vorboten eines EUweiten rigorosen Sparkurses, der einer neoliberalen Ideologie folgt. Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Kürzungen von Sozialleistungen und Gehältern im öffentlichen Dienst sowie Rentenkürzungen werden durch EU und IWF durchgesetzt und zur Bedingung von Krediten gemacht. Und die Bundesrepublik Deutschland entwickelt den Ehrgeiz, ohne diesen Druck zum Vorbild der Sparer zu werden, um den Wert des so ungleich verteilten Geldes zu sichern. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen einer solchen Politik, die einseitig auf Verbesserung der Investitionsbedingungen setzt in einer Zeit, da auf den internationalen
Finanzmärkten immer noch weitaus höhere Renditen zu erzielen sind als durch Investitionen im Bereich der Realwirtschaft, sind unabsehbar. Wenn zudem staatlicher Investitionen zurückgenommen werden und die Massenkaufkraft sinkt, ist ökonomisch kaum ein positives Ergebnis zu erwarten. Man muss befürchten, dass negative Folgen für die Einnahmen des Staates aus Steuermitteln vorprogrammiert sind und damit auch die finanzielle Basis der Kirche langfristig geschwächt wird. Bedenkt man, dass ein Großteil der von der Kirche wahrgenommenen Aufgaben staatlich refinanziert ist, so wird man sich auf harte Zeiten einstellen müssen.

Brüning lässt grüßen!

Gewiss, Geschichte wiederholt sich nicht. Dennoch sollte man geschichtliche Vorgänge, die Problemlagen der Gegenwart ähneln, zumindest vor Augen haben. Das Kabinett des Zentrumspolitikers Brüning, das 1930 die letzte parlamentarisch legitimierte Regierung des SPDReichskanzlers Müller ablöste, beantwortete die Herausforderungen der Weltwirtschaftkrise mit einem rigorosen Sparprogramm. Gehälter im öffentlichen Dienst wurden ebenso wie Renten und andere Sozialleistungen in mehreren Stufen drastisch gekürzt. Außerdem wurden im Gefolge der Krise die Gewerkschaften systematisch geschwächt und das bisher gültige Tarifvertragssystem abgeschafft. Infolgedessen sanken die Löhne der abhängig Beschäftigten auf breiter Front. Getragen wurde das Kabinett Brüning nicht mehr vom Parlament, sondern von den reaktionären Kräften, die hinter Reichspräsident Hindenburg standen. Es spricht vieles dafür, dass die Krise als Chance begriffen wurde, einen ohnehin gewollten sozialreaktionären Kurs durchzusetzen (Vgl. hierzu die hervorragende Darstellung von Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1997, hierzu besonders S. 254).

Das Ergebnis dieses Kurses waren Bankenzusammenbrüche in Österreich und im Reichsgebiet 1931, die die Wirtschaftskrise weltweit verschärften. Die Arbeitslosenzahlen schnellten nach oben, den Menschen wurde jede Perspektive auf Besserung ihrer Lage genommen und eine Verelendung breiter Massen griff um sich. Auch Brüning und die ihn tragenden Eliten hatten von einem „neuen Staat“ geträumt, der an vordemokratische Traditionen anknüpfen und dem Grundmuster einer ständisch orientierten autoritären Staatsführung folgen sollte. In einer Mischung von Hybris, ökonomischen Fehlentscheidungen und Raffinesse dort, wo es um die Marginalisierung der demokratischen Kräfte ging, hatte man 1933 eine Situation herbeigeführt, in der ein neuer Staat durch die Nationalsozialisten - durchaus anders als geplant - in Erscheinung trat. Man mag sich darüber streiten, ob eine andere Reichsregierung in jenen Jahren Spielräume für eine alternative Politik gehabt hätte. In jedem Fall waren die sozialen und politischen Folgen der Brüningschen Deflationspolitik verheerend. Eigentlich müsste dies Grund genug sein, zentrale Elemente dieser Politik zu meiden, anstatt sie als Rezept gegen die Eurokrise zu empfehlen.

In der Weimarer Verfassung war ein umfangreicher Katalog an sozialstaatlichen Leistungen verankert. Von Brüning und dem hinter ihm stehenden reaktionären Kräften wurde dieser strategisch gewollt außer Kraft gesetzt. Peukert urteilt mit Recht: „Die Republik delegitimierte sich durch ihr offenkundiges Versagen an der sozialen Front.“ (Weimar, S 248)

Die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 ist sicher nicht vergleichbar mit der Situation im Deutschen Reich Anfang der 30-er Jahre. Anders sieht es mit etlichen südeuropäischen Ländern aus wie Griechenland, Spanien oder Portugal. Genau diese Länder, die im Blick auf ihr Lebensniveau deutlich unter dem Deutschlands liegen, werden jetzt einem rigorosen Sparkurs unterzogen, der langfristig jede positive ökonomische Entwicklung zu ersticken droht. Dass die Bundesrepublik nun allerdings ebenfalls mit einem drastischen Sparprogramm die eigene Binnenwirtschaft schwächt, ist ein Schlag ins Gesicht der südeuropäischen Länder, deren Möglichkeiten, Produkte auf dem großen deutschen Markt zu verkaufen, hierdurch reduziert werden. Immer wieder hat der IWF ähnliche Rezepte in Ländern Lateinamerikas, Asiens oder Afrikas oktroyiert. Dies ging mit Demokratieverlusten einher oder konnte durchgesetzt werden, da es sich von vorneherein um Militärdiktaturen oder andere autoritäre Regime handelte. Wer sich hierüber ausführlich informieren möchte dem sei Naomi Kleins Buch „Die Schockstrategie“ empfohlen. Für EU-Länder scheint Ähnliches (noch) ausgeschlossen. Das Ende der Weimarer Republik sollte jedoch Warnung sein, dass eine sozial unausgewogene und ökonomisch zweifelhafte Politik schlimme soziale und politische Verwerfungen verursachen kann.

Die „Kornkammern“ der Kirche

Die Kirchen hätten in dieser Situation, in der sich die soziale Situation der abhängig Beschäftigten auch in Deutschland verschlechtert, von den Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind ganz zu schweigen, das finanzielle Potential, deutliche Gegenakzente zu setzen. „Gute Arbeit“, also mindestens tariflich entlohnte unbefristete Arbeitsplätze, Familienfreundlichkeit nicht nur auf dem Papier, Beschränkung von Teilzeitstellen, Minijobs und anderen prekären
Beschäftigungsverhältnissen sowie die Aufwertung der Beschäftigten durch Mitarbeitervertretungen, die mindestens die Mitsprachemöglichkeiten von Betriebsräten haben, all dies wäre möglich. Die Kirchen sind ein derart relevanter Arbeitgeber, dass dies ein Hoffnungssignal für die Gesellschaft insgesamt wäre. Doch man macht eher das Gegenteil, folgt intern immer mehr einer betriebswirtschaftlichen Logik, die dann auch noch krampfhaft und oft genug inkompetent exekutiert wird. Auch hier gibt es smarte Anzugträger die wahrheitswidrig seid Jahren den elementaren Satz verkünden: „Die Kirche lebt über ihre Verhältnisse.“

Bereits Anfang des Jahrzehnts wurde von kirchlichen Leitungsgremien die Parole ausgegeben, die Zeiten steigender Kirchensteuereinahmen seien auf absehbare Zeit vorbei. Um Mindestens 1 - 2% im Jahr sollten die Kirchensteuereinnahmen sinken. Die Realität sah anders aus. Die rot-grüne Steuerreform, die in mehreren Stufen von 2000 - 2005 umgesetzt wurde, führte zwar in der ersten Hälfte des Jahrzehnts zu deutlichen Einnahmeverlusten, die in den Folgejahren allerdings mehr als kompensiert wurden. Insgesamt stieg das Kirchensteueraufkommen im vergangenen Jahrzehnt im Bereich der Ev. Kirche im Rheinland z.B. um ca. 8%. Dennoch wurden massenhaft Arbeitsplätze abgebaut, Stellen reduziert, Einrichtungen geschlossen und Gebäude abgestoßen. Die eingesparten Mittel flossen in eine bestimmte Richtung: mit Millionenbeträgen stockte die Ev. Kirche im Rheinland den Kapitalstock der Versorgungskasse für PfarrerInnen und Kirchenbeamte auf. Diese Mittel wurden der laufenden Arbeit entzogen. Rücklagen insbesondere für die Unterhaltung von Gebäuden mussten massiv aufgestockt werden. Stiftungen erfreuen sich auch in der Kirche wachsender Beliebtheit. Freundlich betrachtet wurde man Opfer der eigenen Propaganda. Da die Einnahmen sinken, muss vorgesorgt werden einer ähnlichen Logik folgend, mit der Menschen zum Aufbau eines Kapitalstocks für ihre private Altersversorgung getrieben werden. Wenn sie wieder Erwarten steigen, hat man umso mehr Mittel zur Verfügung, um für schlechtere Zeiten vorzusorgen, die unweigerlich kommen. Die Zeche zahlen die vielen Tausend abhängig Beschäftigten der Kirche, die Gemeinden und die Einrichtungen, deren Mittel durch diese Übung künstlich verknappt werden.

Die öffentliche Hand hat es mit einer profunden Schuldenproblematik zu tun, am stärksten betroffen sind in Deutschland die kommunalen Haushalte. Wo der Staat Mittel zur Schuldentilgung aufwenden muss, setzen die Kirchen Beträge in vergleichbarer Relation ein, um Rücklagen für schlechtere Zeiten aufzubauen mit dem Ziel der Sicherung des eigenen Bestandes.

Vor einiger Zeit sprach ein sichtlich angekratzter Bert Rürup sinngemäß folgendes in die Fernsehkameras: „Wie sollen die Menschen denn noch zum Aufbau einer privaten kapitalgedeckten Altersversorgung motiviert werden, wenn noch nicht einmal mehr Staatanleihen sicher sind.“ Dieser Stoßseufzer trifft in gleicherweise auch die kirchlichen Rücklagen, Kaptalstöcke und Stiftungsvermögen. Gewiss, die Kirchen benötigen Rücklagen, um auch im Interesse ihrer
Beschäftigten Schwankungen bei den Kirchensteuereinnahmen ausgleichen zu können. Auch Stiftungen sind im Prinzip sinnvoll, solange man nicht ganze Arbeitszweige mit Stiftungsvermögen dauerhaft absichern will. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts zeigt überdeutlich, wie unsicher langfristig angelegtes Kapital sein kann.

Die Destruktivität der harten Sanierer

Nach 2008 steht Deutschland trotz milliardenschwerem Bankenrettungsschirm, Wachstumsbeschleunigungsgesetzt und Abwrackprämie im Blick auf seine Staatsverschuldung im europäischen Vergleich recht günstig dar. Doch erneut kommt es zur Auflage der alten Kampagne mit der Überschrift „Wir leben über unsere Verhältnisse“. Klar doch, die Krankenschwester, der Taxifahrer oder die alleinerziehende Mutter, die in einem Internetreisebüro ihr Einkommen
verdient, sie haben geprasst in spätrömischer Dekadenz, der Lehrer oder die Ärztin haben aus purer Langeweile an den Finanzmärkten gezockt und die ganze Bande arbeitsunwilliger Hartz IV Empfänger lässt sich von einer überforderten Gemeinschaft fürs Nichtstun aushalten. Doch jetzt muss es endlich schmerzhafte Einschnitte geben, wenn es sein muss auch bei der Bildung und der Kinderbetreuung. Dies ist insofern einleuchtend, da Bildung breiter Bevölkerungsschichten ein unangenehmer Störfaktor für die Initiatoren solcher dummdreister Kampagnen ist. Privatschulen und private Kindertagesstätten für den Nachwuchs des Geldadels reichen doch völlig.

Tatsache ist, dass in Deutschland die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten seit Anfang der 90-er Jahre tendenziell gesunken sind, dass heute wenig Begüterte in vielen Regionen und Städten Deutschlands kaum mehr der Möglichkeit haben preiswert ein öffentliches Schwimmbad oder eine Stadtbibliothek zu besuchen. Tatsache ist, dass der Niedriglohnsektor kräftig ausgebaut und das Tarifvertragssystem durchlöchert wurde, von den Zuständen in manchen Leiharbeitsfirmen nicht zu reden. Tatsache ist auch, dass der Staat zunehmend verarmte, während Deutschland immer reicher wurde. Durch eine Steuerpolitik, die durch Demutsgebärden gegenüber dem großen Geld eine wirtschaftliche Belebung zu erreichen versuchte, schwappte der Wohlstand allerdings nach oben zu denen, die eh darin badeten. Sie leben deutlich über unseren Normalverhältnissen, die soziale Spreizung in unserem Land nahm in den letzten Jahren noch einmal erheblich zu. Doch anstatt durch eine vermögens- und einkommensadäquate Besteuerung für sozialen Ausgleich zu sorgen und den Staat wieder handlungsfähig zu machen, fällt Ökonomen wie dem DIW-Chef Zimmermann nichts besseres ein, als eine kräftige Erhöhung der Mehrwertsteuer zu fordern. Das heißt, der Hartz IV-Empfänger, die Aufstockerin, der Taxifahrer und die alleinerziehende Mutter sollen über ihren Konsum die Zeche für die Zocker und Finanzoligarchen bezahlen. Es wird gespart, vor allem auch kräftig im Sozialbereich. Im Vergleich zu den Maßnahmen, die von der Bundesregierung jetzt als Sparprogramm auf den Weg gebracht wurden, wäre eine Mehrwertsteuererhöhung das kleinere Übel gewesen. Gottlob gibt es ja kirchliche Tafeln und Suppenküchen, zu denen die Not langsam mehr Menschen treibt, als sie versorgen können.

„Wir leben über unsere Verhältnisse!“ - gerade Protestanten sind anfällig für eine Verzichtsethik, die suggeriert, es hülfe den Menschen in den Ländern des Südens, wenn man Lohnverzicht übt oder Kirchen verkauft. Dass Lohnverzicht gerade Teil des Problems ist, geht manchen nicht in den Kopf. Durch Lohnabschlüsse deutlich unterhalb der Produktivität wurde Deutschland in der Tat wettbewerbsfähiger und übte Druck aus auf die Volkswirtschaften z.B. in Südeuropa. Gleichzeitig stagniert die Binnennachfrage. Deutschland erwirtschaftet einen gewaltigen Handelsbilanzüberschuss, der natürlich mit den entsprechenden Defiziten in anderen Ländern korrespondiert. Der Bäcker im Dorf weiß noch, dass die Absatzchancen für seine Backwaren nicht nur von der Qualität sondern vor allem auch vom Einkommen seiner Nachbarn abhängen. Der ökonomische Mainstream in Deutschland betrachtet auch die Volkswirtschaftschaften im Euroraum als unabhängige betriebswirtschaftliche Subjekte, die miteinander im Wettbewerb stehen. Das sicherlich extreme Beispiel der Regierung Brüning Anfang der 30-er Jahre zeigt, dass ein harter Sparkurs eine wirtschaftliche Belebung untergräbt, die Schuldenproblematik verschärft und zu unabsehbaren politischen Folgen führt. Tatsächlich lebt Deutschland nicht über seine Verhältnisse, sondern bleibt unter seinen Möglichkeiten. Nötig wären Lohnabschlüsse, die sich mindestens am Produktivitätsfortschritt orientieren und Zukunftsinvestitionen z.B. in Bildung und in die
Infrastruktur. Hierdurch würde auch zum Nutzen der übrigen Mitglieder der Eurozone die Binnennachfrage in der wichtigsten Volkswirtschaft Europas verstärkt.

Das Konzernmodell ist gerade für die Ev. Kirche strukturbildend. Eigennützige Berater von Mac Kinsey und anderen Instituten haben Kirchenleitungen und Synoden in den vergangenen Jahren in eine betriebswirtschaftliche Orientierung gedrängt, die vorrangig das Ziel der Kostenreduzierung und der Effizienzsteigerung verfolgt. Da man von einer negativen Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen ausging, diese aber tatsächlich deutlich stiegen, entstand eine zunehmend unerträgliche und ethisch hochproblematische Situation: während auf der einen Seite Einrichtungen geschlossen, Stellen abgebaut und Gebäude verkauft wurden, flossen immer mehr Mittel in diverse Rücklagen. Der Bund muss jährlich über 30 Mrd. € für die Schuldentilgung bereitstellen, dem gegenüber sind für viele kirchliche Haushalte Zinserträge eine wesentliche Einnahmequelle. Was für den deutschen Staat gilt, zeigt sich stärker noch in seiner ganzen Problematik bei der Kirche:
Die Kirche lebt nicht über ihre Verhältnisse, sondern sie bleibt zum Schaden ihrer Mitarbeitenden und der Gesellschaft insgesamt deutlich unter ihren Möglichkeiten.

Die Kirche müsste gerade jetzt ihre Stimme zugunsten derer verlauten lassen, die unter die Räder der neoliberalen Sparideologen geraten. Sie hat den Auftrag, den Entmutigten und Hoffnungslosen Perspektive zu geben und alles zu versuchen, dem Rad in die Speichen zu greifen. Mildtätigkeit alleine reicht bei weitem nicht aus. An allererster Stelle wäre es nötig, sich vom neoliberalen Infekt zu befreien, der den Leib der Kirche geschwächt hat. Das beste Antibiotikum gegen diese Krankheit ist der Mann aus Nazareth, der sagt: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.

Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Matthäusevangelium 6,24)

 

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