EKiR aus den Fugen

Die Landessynode scheut ernsthafte Korrekturen und verschärft den Bürokratieaufbau
Von Hans-Jürgen Volk

Es passt wenig zusammen in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Auf ihrer Landessynode in Bad Neuenahr, die vom 16.-22.01. 2014 tagte, präsentierte sich die zweitgrößte deutsche Landeskirche als mental wie strategisch aus den Fugen geraten. Die Widersprüche werden deutlich, wenn man den Präsesbericht von Manfred Rekowski und den Finanzbericht der Kirchenleitung, vorgetragen von dem Finanzdezernenten Bernd Baucks, nebeneinander legt. Mit am problematischsten ist die Diskrepanz zwischen der Stimmungslage der Synode, die Rekowski z.B. während der Abschlusspressekonferenz verbalisiert und dem Frust, der sich bei der Mitarbeiterschaft, in den Kirchenkreisen und den Gemeinden angestaut hat. Nimmt man nicht wahr, wie unbarmherzig provozierend diese zur Schau getragene Zufriedenheit mit dem eigenen Leitungshandeln auf die von Sparmaßnahmen betroffenen Beschäftigten wirken muss?

Die Rede von Rekowski wäre ein großer Wurf, der theologisch fundiert Perspektiven aufzeigt, hätte die EKiR tatsächlich einen massiven Einbruch ihrer Einnahmen zu beklagen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: bei 617,3 Mio. € liegt das Nettokirchensteueraufkommen voraussichtlich 2013 (Finanzbericht S. 15). Dies ist nominal das beste Ergebnis seit 20 Jahren!

Stärkung der institutionellen Präsenz

Rekowski stellt der Kirche als Institution eine Kirche als Bewegung gegenüber. „Dieses Leben der Kirche wird spürbar, wenn Bewegung entsteht.“ „Und die Aufgabe aller Menschen in der Kirche, aber einer Synode und einer Kirchenleitung im Besonderen, ist, das, was von Gott in Gang gesetzt wurde, als Gesandte zu fördern und zu unterstützen.“ (Präsesbericht S. 4) Die Ausführungen Rekowskis sind eine Wegweisung, für die man sich erwärmen kann. Das Problem ist nur, dass er seine Kirche in eine völlig andere Richtung führt. Er plädiert dafür, die institutionelle Präsenz der Kirche zu reduzieren und stärker auf personelle Präsenz zu setzen. Dagegen stehen die Ausführungen von Bern Baucks zum NKF-Projekt (S. 2 -10 des Finanzberichts), in denen weiterer Personalaufbau sowie eine fortgesetzte Kostensteigerung nahegelegt werden. Bereits jetzt haben etliche Kirchenkreise zusätzliche Stellen in ihren Verwaltungen geschaffen. Die geplante neue IT-Struktur, die Verwaltungsstrukturreform sowie die erkennbaren Mängel der vor einigen Jahren durchgeführten Reform der Rechnungsprüfung verlangen ebenfalls nach zusätzlichem Personal. Faktisch wird die institutionelle Präsenz der EKiR durch einen profunden Ausbau der Verwaltungen insbesondere auf Kirchenkreisebene gestärkt. Dies geschieht aus purer Not, weil man mit dem vorhandenen Personal problematische „Reform“-Projekte wie NKF nicht stemmen kann. Es ist fehlerhaftes Leitungshandeln, wenn Projekte, die man einst als alternativlos propagierte um Gelder einzusparen und effizienter mit Finanzmitteln umzugehen, zu dauerhaften Mehrkosten und einem massiven Bürokratieaufbau führen.

Wohltuend und wegweisend ist die Positionierung zum Thema Prognostik. In seinem Bericht, S. 13 formuliert Rekowski: „Und die Kirche befindet sich in Erwartungshaltung. Das hat sie zu bezeugen. Nicht eine Orientierung an Prognosen ist gefragt. Weder das depressive Warten auf die Erfüllung von negativen Prognosen, noch die Erreichung von selbstgesteckten Planzahlen ist Ziel unserer Erwartung. Wir warten auf das Kommen Christi. Wir erwarten sein Erscheinen.“ Auch hier stellt sich das Problem, dass die EKiR faktisch eine andere Richtung einschlägt, indem sie einen drastischen Sparkurs initiiert, der auf längst überholten Planzahlen und negativer Prognostik gegründet ist. Dies betrifft nicht nur den Prozess der Haushaltskonsolidierung auf landeskirchlicher Ebene, sondern vor allem auch das Problem zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche.

Am Mitteleinsatz erkennt man die Strategie. Auf eine einfache Formel gebracht kann man die strategische Ausrichtung der EKiR wie folgt beschreiben.

1. Die Mittel für die Arbeit mit Menschen werden reduziert.
2. Dagegen weitet sich der Mitteleinsatz für Verwaltung aus.
3. Deutlich mehr Mittel als bisher sollen der Kapitalbildung zur Absicherung zukünftiger Versorgungs- und Beihilfeansprüche zugeführt werden (bisher schon knapp ¼ des Netto-Kirchensteueraufkommens).

Bei genauerer Betrachtung wird deutlich: Es handelt sich nicht um einen echten Sparkurs. Die reichlich vorhandenen Finanzmittel der EKiR sollen vielmehr umgeschichtet werden. Nicht nur der Finanzbericht von Baucks, sondern mehr noch die Wortmeldungen einzelner Synodaler machten deutlich, dass weitere Kostensteigerungen bei NKF zu erwarten sind. Immer mehr Mittel fließen in kirchliches Verwaltungshandeln, weil man sich scheut, dringend nötige Korrekturen vorzunehmen. Dass Ziel einer 70%igen kapitalgedeckten Ausfinanzierung von Beihilfe- und Versorgungsansprüchen wird zu erheblichen zusätzlichen Belastungen der Kirchenkreise und Gemeinden führen. Diese sollen ca. 90% der dafür nötigen Mittel aufbringen. Abbau von Stellen in der Arbeit mit Menschen bedeutet nichts anderes, als eine Schwächung der personellen Präsenz der Kirche, die in strukturschwachen Regionen bereits jetzt insbesondere beim Pfarrdienst dramatische Formen annimmt. Verwaltungsausbau in Verbindung mit einer wachsenden Regulierungsdichte verstärkt dagegen signifikant die institutionelle Präsenz. Im Gegensatz zu dem, was Rekowski vorträgt, entwickelt sich die EKiR zu einer Behördenkirche mit gut ausgebauter Investmentabteilung.

Die finanzielle Situation der EKiR

Der Sparkurs der rheinischen Kirche passt nicht zur tatsächlichen Finanzentwicklung. Im Finanzbericht legt Baucks dar, dass die ursprüngliche Schätzung des Verteilbetrages von 575,4 Mio. € sich bereits angesichts der tatsächlichen Entwicklung bis Juli 2013 als zu niedrig erweis und im August in einer aktualisierten Schätzung auf den Betrag von 593,5 Mio. € nach oben korrigiert wurde. „Nachdem nun das Ergebnis der Kirchensteuern bis einschließlich November 2013 vorliegt, zeichnet sich ab, dass das Kirchensteueraufkommen bei den Finanzämtern noch um etwa 30 Mio. Euro darüber hinausgehen wird, mit einer Restunsicherheit, die mit dem Kassenschluss vor Weihnachten zusammenhängt. Einschließlich der November-Zahlen würde der Kirchensteuerverteilungsbetrag gegenüber der korrigierten Schätzung von August 2013 um ca. 23,8 Mio. Euro steigen.“ (Finanzbericht S. 15) - Aus dieser Darstellung ergibt sich ein Netto-Kirchensteueraufkommen von 617,3 Mio. € statt der den Haushaltsplanungen zu Grunde liegenden 574,5 Mio. €. Die Differenz macht stattliche 42,8 Mio. € aus. Angesichts einer derartigen Abweichung muss man von einer Fehlplanung sprechen, der Fehleinschätzungen zugrunde liegen. 2013 gab es ja keineswegs ungewöhnliche ökonomische Entwicklungen oder drastische Veränderungen beim Steuerrecht, die die Planer entlasten würden. Sie lagen schlicht falsch! Bitter ist, dass sich für die Haushaltsplanung 2014 Ähnliches abzeichnet. Eine Planung mit einem Verteilbetrag von 585,8 Mio. € für 2014 liegt bereits jetzt absehbar daneben, denn die Differenz zu dem voraussichtlichen Ergebnis von 2013 beträgt -31,5 Mio. €. Alle relevanten Indikatoren deuten auf ein Ergebnis hin, dass das von 2013 übertreffen, also über 617 Mio. € liegen wird. So formuliert Baucks fast kabarettreif in seinem Finanzbericht (S. 16): „Die für 2013 vorgenommene Schätzung dürfte als durchaus vorsichtig anzusehen sein. Jedenfalls wird das realisierte Steueraufkommen in 2014 nicht unter unserer Schätzung liegen.“ Der böse Verdacht erhärtet sich, dass es sich bei den Planungsvorgaben für die Haushaltsplanung in der rheinischen Kirche nicht um das Bemühen handelt, möglichst realitätsnah die Finanzentwicklung zu antizipieren, sondern dass es politische Vorgaben mit geringem Sachbezug sind. Die folgende aktualisierte Übersicht spricht für sich:

 

  2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Nettokirchen-
steuer-
Aufkommen
(Verteilbetrag)
in Euro
492 Mio. 499 Mio. 562 Mio. 599 Mio. 584,8 Mio. 560,00 Mio. 570,00 Mio. 594 Mio.
617,3 Mio.
Alle Fakten deuten auf ein Ergebnis von deutlich über 617 Mio. hin
Planung 483,3 Mio. 485,6 Mio. 524,2 Mio. 571,6 Mio. 549,7 Mio. 490,8 Mio. 564,28 Mio. 571,8 Mio. 575,4 Mio. 584,8 Mio.
Differenz 8,7 13,4 37,8 27,4 35,1 69,2 5,72 22,2 31,5  ?

 

Diese Zahlen machen deutlich: seit 2005 ist das Netto-Kirchensteueraufkommen in der EKiR um 125,3 Mio. € (25,46%) gestiegen. Der Umfang der 2013 in Hilden und 2014 in Bad Neuenahr beschlossenen Sparmaßnahmen steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Finanzentwicklung. Auch angesichts der unbestreitbar großen Herausforderung, zukünftigen Versorgungs- und Beihilfeansprüchen gerecht zu werden, gäbe es Spielräume, Rückbauprozesse mitarbeiterfreundlich, sozial verträglich und insgesamt gedeihlich für unsere Kirche zu gestalten.

Das es jetzt in eine andere Richtung geht, verdeutlicht der Bericht der SWR-Landesschau vom 20.01. 2014. Eingegangen wird auf die Folgen des Sparprozesses am Beispiel des Paul-Schneider-Gymnasiums in Meisenheim. Nach dem Bericht soll das angeschlossene Internat aus wirtschaftlichen Gründen abgestoßen werden und in die Hände eines anderen Trägers übergehen. Aus dem Leitbild geht hervor, dass es sich um eine Einrichtung mit sozial-diakonischem Charakter handelt. Sparmaßnahmen sind beim Lehrmaterial vorgesehen, außerdem will man sich von den Reinigungskräften trennen und die Gebäudereinigung einer externen Reinigungsfirma übertragen. Es besteht die bedrückende Aussicht, dass Nachrichten dieser Art sich in Zukunft häufen und das Bild der Ev. Kirche im Rheinland in der Öffentlichkeit prägen werden.

Spätestens jetzt ist die EKiR ernsthaft in ihrer Statik gefährdet. Ernsthafte Korrekturen an kostenträchtigen Projekten wie NKF werden gescheut. Stattdessen herrscht eine Vorliebe für komplizierte Regelungen, wie die Diskussion um Substanzerhaltungspauschale und Abschreibungen bei Gebäuden zeigt. Statt die unsinnige Doppelung zu beseitigen, setzt man auf Lösungen im Detail und Ausnahmetatbestände und belastet damit das Verwaltungshandeln, wo denn alsbald wieder nach personeller Verstärkung gerufen wird. Eine Kirche, die ihre Verwaltungen ausbaut, die Kapitalbildung verstärkt und im Gegenzug Stellenabbau betreibt in der Jugendarbeit, dem Pfarrdienst, bei Reinigungskräften, LehrerInnen oder in der Kirchenmusik ist nicht mehr sympathisch. Wir benötigen ein alternatives Reformprogramm. Bemerkenswert ist, dass niemand geringeres als Manfred Rekowski in seinen Predigten und Reden hierfür Stichworte liefert.

Aufbruch von unten

Nach Hilden 2013 und Bad Neuenahr 2014 geht ein „weiter so“ tatsächlich nicht mehr. Wenn einen die Erkenntnis umtreibt, dass die eigene Kirche auf einem falschen Weg ist, kann man nicht dauerhaft mitgehen. Diese Erkenntnis teilen viele Presbyterinnen und Presbyter, Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie engagierte Gemeindeglieder, die immer wieder dem Druck ausgesetzt waren und sind, Vorgaben umzusetzen, die die kirchliche Arbeit im eigenen Umfeld schädigen und eine Verschlechterung für die eigene Situation bedeuten. Der drastische Sparkurs wird diese Dynamik verschärfen - vor allem dann, wenn keine Korrekturen bei misslungen Reformprojekten stattfinden. Nötig ist ein entschlossenes, konstruktives Innehalten. Der Weg der EKiR seit 2005/6 muss überprüft und eine neue Richtung gefunden werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass von dem rheinischen System der „kollegialen Leitung“ auf der Ebene der Landeskirche, also von ständigen Ausschüssen, Kollegium und Kirchenleitung keine Kurskorrektur zu erwarten ist. Es geht um einen Aufbruch von unten - für eine Kirche, die an ihrem Auftrag und an den Menschen orientiert ist und in der Geld wieder eine dienende Funktion einnimmt.

 

 

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