Die Finanzkraft der Kirche und die Mitgliederentwicklung

Argumente verbrauchen sich, wenn sie permanent von der Wirklichkeit widerlegt werden
Von Hans-Jürgen Volk

Ende der achtziger Jahre thematisierte eine EKD-Studie zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen kirchlicher Finanzkraft und Mitgliederentwicklung. Der demographische Wandel trat damals nicht nur im Blick auf die Sozialsysteme, sondern nun auch kirchenpolitisch motiviert als Schreckgespenst in Erscheinung. 2005 und 2006 wurde die Aussage, dass die negative Mitgliederentwicklung die kirchliche Finanzkraft dramatisch reduzieren würde, durch die Aufnahme in das EKD-Impulspapier "Kirche der Freiheit" (KdF) "kanonisiert". Im Rheinland wurde werbewirksam die "Einfache Formel" entwickelt, dass bis zum Jahr 2030 die Evangelische Kirche nur noch 2/3 ihres Mitgliederbestandes und die Hälfte der Finanzkraft gegenüber dem Basisjahr 2002 haben würde. "Die Zeiten steigender Kirchensteuereinnahmen sind ein für allemal vorbei" - diese Aussage wurde dutzendfach von Oberkirchenräten und Superintendenten vorgetragen, um die Kirche auf einen drastischen Spar- und Umbauprozess einzustimmen.

Seit 34 Jahren sinken die Mitgliederzahlen bei steigenden Kirchensteuereinnahmen

Heute, knapp 10 Jahre später, erleben wir in der Ev. Kirche im Rheinland (EKiR) eine erstaunliche Neuauflage der alten, verbrauchten Argumente. Gab es damals auf Grund von steuerpolitischen Maßnahmen, konjunktureller Schwäche und einer hohen Arbeitslosigkeit tatsächlich einen Einbruch bei den Kirchensteuereinnahmen, stellt sich dies heute völlig anders dar:

   2005  2006 2007  2008  2009  2010  2011  2012  2013 2014
 Nettokirchen-
steuer-
Aufkommen
(Verteilbetrag)
in Euro
 492 Mio.  499 Mio.  562 Mio.  599 Mio.  584,8 Mio.  560 Mio.  570 Mio.  594 Mio. 619 Mio. 642 Mio.
Schätzung

Dies bedeutet, dass die Kirchensteuereinnahmen nominal gegenüber 2005 um 150 Mio. € (30,48%) gestiegen sind.

Unbeeindruckt von dieser Realität wird in der von Rekowski und Baucks vorgetragenen Einführungsrede zur Haushaltskonsolidierung ausgeführt:

"Wir gehen davon aus, dass die demografische Entwicklung der Mitgliederzahlen sich in absehbarer Zeit so niederschlagen wird, dass die wirtschaftliche Entwicklung den Rückgang finanziell nicht mehr kompensieren wird." (S. 5)

Auf Grund welcher Erkenntnisse man zu dieser Einschätzung kommt, bleibt unbeantwortet. Fakt ist: seit 1970 steigen die Kirchensteuereinnahmen trotz sinkender Mitgliederzahlen: 

   1970 1977  1987 1990  2000 2007 2013 2014
 Gemeindeglieder in Mio.  3,856  3,604  3,318  3,269  3,113  2,92  2,74 2,70
 Nettokirchensteuer-
 Aufkommen in Euro
 200 Mio.  350 Mio.  440 Mio.  580 Mio.  551 Mio.  562 Mio.  619 Mio. Ca. 642 Mio.

 

 Richtig ist, dass sich auf Grund demographischer Effekte gegen Ende des Jahrzehnts der Mitgliederrückgang verstärken wird. Dass es jedoch hierdurch zu einer Abkopplung der Entwicklung bei den Kirchensteuereinnahmen von der Entwicklung bei der Lohn- und Einkommenssteuer kommt, ist eine sehr subjektive Mutmaßung, die durch die Zahlenreihen der Vergangenheit keineswegs gestützt wird. Unterstellt wird ja, dass auf Grund einer negativen Mitgliederentwicklung die Kirchensteuereinnahmen sinken bei steigenden Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer. Dies ist kaum zu erwarten und entspricht eher einem Glaubenssatz als seriöser Prognostik.

Es geht also nicht darum, den Haushalt der EKiR auf Grund von realen Zahlen der Gegenwart ins Lot zu bringen, was sehr vernünftig wäre. Sondern man antizipiert mit dem Sparprogramm eine mögliche Negativentwicklung:

"Mit der Haushaltskonsolidierung auf der landeskirchlichen Ebene tun wir also zu Zeiten hoher Kirchensteuereinnahmen das, was wir umgesetzt haben werden, wenn die Kirchensteuereinnahmen sinken: nämlich den landeskirchlichen Haushalt in die Balance zu bringen und damit auch nachhaltig aufzustellen." (S. 5)

Das Hauptargument für das Spar- und Rückbauprogramm der EKiR ist das alte Argument, auf Grund der negativen Mitgliederentwicklung würde sich die Finanzkraft der Kirche dauerhaft reduzieren. In seinem Bericht an die Landessynode formulierte Präses Rekowski noch im vergangenen Jahr: „Und die Kirche befindet sich in Erwartungshaltung. Das hat sie zu bezeugen. Nicht eine Orientierung an Prognosen ist gefragt. Weder das depressive Warten auf die Erfüllung von negativen Prognosen, noch die Erreichung von selbstgesteckten Planzahlen ist Ziel unserer Erwartung. Wir warten auf das Kommen Christi. Wir erwarten sein Erscheinen.“

Ein fragwürdiger journalistischer Beitrag

Mit einem fragwürdigen Beitrag leistet Wolfang Thielmann in einem Artikel von "Christ und Welt" den rheinischen Sparkommissaren Schützenhilfe. Er weiß es genau: "In nicht einmal einer Generation werden die Kirchen um ein Drittel geschrumpft sein. Statt 50 Millionen werden sie nur noch 33 Millionen Mitglieder haben. Und nur noch die Hälfte ihrer Finanzkraft besitzen." Diese Aussage könnte aus dem Jahre 2005 stammen. Worauf Thielmann diese Annahme stützt, bleibt offen. Es sei denn, man lässt diese Ausführungen als Argument gelten: "In zwei bis drei Jahren, wenn die Feiern zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation vorbei sind, wird klarer, was den Kirchen bevorsteht. Dann gehen die geburtenstarken Jahrgänge auf den Ruhestand zu. Ist es so weit, zahlen sie kaum noch Kirchensteuer. Waren sie bei der Kirche beschäftigt, werden sie Rente beziehen. Deshalb stocken die Kirchen derzeit mit den sprudelnden Kirchensteuern vor allem ihre Pensionsfonds auf." Wolfang Thielmann lässt hierbei außer Acht, dass es seit 2005 das Alterseinkünftegesetz gibt. Rentner sind in wachsendem Umfang steuerpflichtig und zahlen somit auch Kirchensteuer, Pensionäre sowieso. Bei den Vermögenden und Hochvermögenden ist davon auszugehen, das mit zunehmendem Alter auch ihr Reichtum wächst.

Es ist schade, dass ein Journalist wie Thielmann doch recht unkritisch die Position kirchenleitender Prominenz übernimmt, ohne Gegenargumente überhaupt zu reflektieren.

Dass es diese sehr wohl auch bei Kollegen aus dem Journalismus gibt, wird z.B. in einer Sendung von WDR 5 deutlich.

 

 

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