„Corporate Identity“?

Metamorphosen einer Kirche
Von Hans-Jürgen Volk

Die Evangelische Kirche im Rheinland ist kaum mehr wiederzuerkennen. Seit einigen Jahren ist ein bedrückender Wandlungsprozess im Gange, der von einflussreichen Kräften weiter vorangetrieben wird: Die Metamorphose vom Schmetterling zur Raupe.

Einst verstand sich die Rheinische Kirche als „Kirche auf Gemeindebasis“. Sie war stolz auf ihre „presbyterial-synodale“ Verfassung. Die Erfahrungen der Bekennenden Kirche und insbesondere die Barmer Theologische Erklärung waren identitätsstiftende Merkmale. Bei wichtigen Fragen wurden die Gemeinden und Kirchenkreise konsultiert und deren Voten konsequent in den Entscheidungsprozess mit einbezogen. So geschah es z.B. beim Themen wie „Kirche und Israel“, „Trauung und Segnung“ insbesondere auch im Blick auf gleichgeschlechtliche Paare, oder „Einladung zum Abendmahl“.

Als Ende 2005 die Ergebnisse von zwei landeskirchlichen Arbeitsgruppen zu Verfassungsfragen und zum Dienst- und Arbeitsrecht bekannt wurden, hatten viele den Eindruck, dass es hier um die Identität unserer Kirche geht. Eine fatale Tendenz zur Selbstökonomisierung unserer Kirche und ihre Metamorphose in einen Dienstleistungskonzern wurden als Zielvorstellung sichtbar.

Noch einmal wurden in guter rheinischer Tradition die Gemeinden und Kirchenkreise zu den Vorlagen befragt. Doch das Verfahren krankte daran, dass die Gesamtarchitektur der Rheinischen Kirche verändert werden sollte, was eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen erforderlich machte. Rückmeldung wurde zwar zu diesen Einzelmaßnahmen erbeten, der neue Entwurf dagegen als alternativlos dargestellt. Kritikern hielt man vor, sie seien einem zu überwindenden „Kirchturmdenken“ verhaftet oder hätten „Angst vor Veränderung“. 

Menschen, die bisher engagierte Basisarbeit geleistet hatten und sich mit durchaus fundierten Stellungnahmen zu Wort meldeten, wurden so von einer kleinen, aber landeskirchlich und EKD-weit gut vernetzten Kaste weniger Einflussreicher mundtot gemacht und auf niveaulose Weise als Störenfriede denunziert. Ein ergebnisoffener Diskurs über die zukünftige Gestalt der Kirche zwischen den landeskirchlichen Hauptakteuren und der Basis fand nicht mehr statt, geschweige denn, eine kritische theologische Reflektion des neuen Bauplans.

Nun gibt es durchaus sinnvolle Elemente bei den Umbaumaßnahmen, wie den Gedanken, dass Gemeinden oder auch Kirchenkreise durch verstärkte Kooperation z.B. in Regionen ansonsten gefährdete Arbeitszweige absichern können. Der Begriff „Personalmix“, also die Zielsetzung, die Mischung der unterschiedlichen kirchlichen Berufe in Zukunft in den jetzigen Proportionen zu erhalten und nicht etwa zugunsten des Pfarrdienstes die Stellen anderer Berufsgruppen auszudünnen zeigt in die richtige Richtung. In diesem Zusammenhang spricht vieles für die Stärkung der Kirchenkreisebene.

Sind aber die Kreissynoden tatsächlich gestärkt worden, um diese sinnvollen Ziele vor Ort angemessen umzusetzen? Gegenüber der Landeskirche ganz sicher nicht! Ein Beispiel sind die von der Kirchenleitung im Mai 2008 beschlossenen Pfarrstellenverteilungsrichtlinien. Das von den Kreissynoden zu beschließende „Rahmenkonzept für den Pfarrdienst“ beinhaltet im Kern lediglich die Festlegung der Relation von Gemeindepfarrstellen zu nicht-refinanzierten Funktionspfarrstellen. Gemeindepfarrstellen werden vorrangig nach Gemeindegliederzahlen verteilt, was in strukturschwachen Regionen zu einem steten Verlust an Pfarrdienst führt. Steuerung durch ein immer engmaschiger werdendes Netz von Regulierungen durch Kirchenleitung und Landessynode haben nicht nur die Spielräume der Gemeinden, sondern auch der Kirchenkreise eingeschränkt. Der einst bunte und vitale rheinische Schmetterling bekommt die Flügel gestutzt und mutiert wieder zur Raupe. Deren Aktionsradius ist begrenzt, sie ist leichter zu kontrollieren und zu steuern, als der unberechenbare Schmetterling. Sie ist zudem sinnlos gefräßig.

Eine der neueren Baustellen ist die Umstellung der Finanzverwaltung von der Kameralistik auf die Doppik. Das Neue kirchliche Finanzwesen (NKF) soll bis spätestens 2015 flächendeckend implementiert werden. Hier wurden die Kirchenkreise und Gemeinden erst gar nicht um Stellungnahmen gebeten, obwohl in deren Leitungsgremien zahlreiche kompetente Frauen und Männer vertreten sind, die ihrerseits Erfahrungen mit der Einführung der Doppik bei den Kommunen gemacht haben. In Kraft sind bereits Regelungen im Blick auf die Substanzerhaltung von Gebäuden, die Gemeinden zu einer automatisierten und oft erhöhten Rücklagenbildung nötigen mit dem seltsamen Effekt, dass in einzelnen Kirchenkreisen die Mehrzahl der Gemeinden ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen können. Erneut trifft es vor allem strukturschwache Regionen, in denen bereits überschuldete Kommunen, die ähnlichen Finanzmechanismen ausgesetzt sind, Schwimmbäder und öffentliche Bibliotheken schließen müssen. Jeder halbwegs Eingeweihte weiß, dass die NKF-Umstellung nur funktionieren kann, wenn Presbyterien und Kreissynodalvorstände engagiert und von der Sache überzeugt mitziehen. Dies lässt sich aber nicht durch Regulierung erreichen!

In dem an sich lesenswerten Buch „Berufen - wozu? - Zur gegenwärtigen Diskussion um das Pfarrbild in der Evangelischen Kirche“ von Nikolaus Schneider und Volker A. Lehnert steht der eigenartige Satz: „Mangelnde ‚Corporate identity‘ kann die Kirche … eigentlich nicht dulden“(S. 104). Gemeint ist wohl, dass man von Pfarrerinnen und Pfarrern Loyalität gegenüber ihrer Kirche erwarten kann. Der Begriff „Corporate identity“ - auf Deutsch „Unternehmenspersönlichkeit“ - bedeutet jedoch die Gesamtheit der Charakteristika eines Unternehmens einschließlich seiner Firmengeschichte. Viele Indizien sprechen dafür, dass die „Corporate identity“ der Ev. Kirche im Rheinland durch eine fatale Top-down-Strategie erheblich beschädigt wurde. Dies zu dulden wäre in der Tat ein Fehler.
 

 

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