Kirche exklusiv

Wie die EKD sich bei den „Eliten“ anbiedert und darüber ihren Auftrag preisgibt
Von Hans-Jürgen Volk

Seit der verhängnisvollen Liaison von Thron und Altar existiert in Teilen des Protestantismus die Sehnsucht, durch die Nähe zu den jeweils Herrschenden den Bestand der eigenen Organisation zu sichern und durch die geliehene Macht die gesellschaftliche Basis zu erweitern - alles natürlich nur im Dienst des Evangeliums und der Menschen. Trotz aller wohlklingenden Sozialrhetorik hat sich die EKD faktisch an der Seite derjenigen positioniert, die an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen interessiert sind. Belegt wird dies z.B. durch EKD-Texte wie die „Unternehmerdenkschrift“ von 2008 oder die EKD-Stellungnahme von 2011 mit dem Titel „Evangelische Verantwortungseliten“. Eine noch deutlichere Sprache spricht der Umgang mit den eigenen Beschäftigten, deren elementare Arbeitnehmerrechte wie das Streikrecht verwehrt werden und die in den vergangenen Jahren einem skandalösen Existenzdruck durch den Abbau von Arbeitsplätzen auf keineswegs sozialverträgliche Weise ausgesetzt waren. Das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ stellt die Weichen für die Selbstökonomisierung der Ev. Kirche und rückt diese an die Seite des Kapitals.

Zeitgleich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise veröffentlichte der Rat der EKD im Herbst 2008 die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ ( http://www.ekd.de/download/ekd_unternehmer(1).pdf ). Nahezu unberührt von den auf dramatische Weise sichtbar geworden strukturellen Schwächen des Finanzkapitalismus sang man ein Loblied auf das Unternehmertum und das „unternehmerische Denken“. Anfang 2009 erschien zwar die beachtenswerte EKD-Stellungnahme zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ (http://www.ekd.de/download/ekd_texte_100.pdf ). 2011 wurde einmal mehr dokumentiert, dass es sich bei diesem Text um weitgehend folgenlose Soziallyrik handelt, der die tatsächliche Agenda der EKD im Blick auf ihre Stellung in der Gesellschaft und den innerkirchlichen Reformprozess verschleiert. „Evangelische Verantwortungseliten“ lautet der Titel des EKD-Textes (http://www.ekd.de/download/ekd_texte_112.pdf ), mit dem sich die EKD den Einflussreichen und Mächtigen anbiedert und - infiziert vom immer noch nicht gebändigten neoliberalen Zeitgeist - den Elitebegriff reaktiviert.

Wo Parteinahme nötig wäre

Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die eine aktive und solidarische Zuwendung der Kirche bitter nötig haben. Es ist später Sonntag-Nachmittag. Meine Gesprächspartnerin sagt, dass sie nun leider aufbrechen muss. Vorher hatte mir die attraktive Frau Anfang 40 berichtet, dass sie seit einiger Zeit bei einem Internet-Reisebüro beschäftigt ist. Es hatte sie erhebliche Mühe gekostet, sich den Vormittag freizuschaufeln. Da war sie im Rahmen eines Taufgottesdienstes Patin geworden. Nun muss sie rasch an ihren Arbeitsplatz. Sie ist eine gestandene, zupackende Person, Mutter zweier Kinder. Nach einer Scheidung war sie auf Hartz IV angewiesen, trotz ihrer Ausbildung als Industriekauffrau. Wegen der Kinder konnte sie in ihrem alten Beruf nicht mehr arbeiten. Jetzt sind die Kinder älter, sie will wieder auf eigenen Füßen stehen, auch finanziell. Doch die Bezahlung bei ihrem neuen Arbeitgeber ist so miserabel, dass sie immer noch auf Transferleistungen angewiesen ist. Sie hat sich auf den Job eingelassen, weil sie ihn weitgehend von zu Hause aus erledigen kann. Und sie ist wieder im Berufsleben.

Seit vielen Jahren wird unsere Gesellschaft gemäß einer neoliberalen Rezeptur umgebaut. Die Auswirkungen hiervon kann man auch in einer strukturschwachen ländlichen Region wahrnehmen. Da ist der allseits respektierte Bürgermeister mit Ende 50, der in der letzten Phase seines Berufslebens seinen Arbeitsplatz bei einem Verlag verliert, der Handwerksmeister, dessen Firma nach mehreren Wechseln der Eigentümer Konkurs anmelden musste und der sich nun als LKW-Fahrer durchschlägt oder die junge Frau Anfang 20, die nach ihrer Ausbildung als Verkäuferin von ihrem Arbeitsgeber nicht übernommen wurde. Derartige „Abstiegserfahrungen“ betreffen eine wachsende Zahl von Menschen. Das „Prekariat“ reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Die Schere zwischen denen, die im Alltag zu kämpfen haben und denen, die einflussreich, mächtig und wohlhabend sind, klafft immer weiter auseinander. Hier wäre es an der Zeit, politisch konkret Position zu beziehen und sich entschlossen auf die Seite derer zu stellen, die die Opfer der neoliberalen „Reform“-Agenda sind. Die EKD hat sich für einen anderen Weg entschieden, bei der trotz aller sozialen Rhetorik die Stärkung der eigenen Organisation Priorität hat.

Allen wohl und niemand weh heißt Stabilisierung des sozial ungerechten Status quo

Im Vorwort zum EKD Elite-Text behauptet der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneide, viele Menschen hätten das Gefühl in den Gemeinden und damit in „unserer Kirche“ nicht willkommen zu sein. „Das gilt nicht nur für soziale Randgruppen, sondern auf der anderen Seite auch und gerade für diejenigen, die sich bewusst und gerne zur evangelischen Verantwortungselite zählen.“ (Ev. Verantwortungseliten S. 6)

Schneider setzt sich nun allerdings nicht mit der Frage auseinander, wie „soziale Randgruppen“ angesprochen werden könnten. Er fordert vielmehr: „Vor dem Hintergrund solcher Phänomene ist es nötig, die Mitglieder dieser Elite gezielt und differenziert von Seiten der evangelischen Kirche anzusprechen und einzuladen. Sie sollen sich willkommen fühlen, und sie sollten in ihrem Verantwortungsgefühl und ihrem Selbstverständnis als ‚Elite für andere‘ bestärkt werden …“ (aaO, S 6). Bestenfalls setzt Schneider die existenziellen Nöte von Menschen, die Tag für Tag um ihre Existenz kämpfen mit den Beschwernissen von Mitgliedern der „Elite“ gleich, die sich von ihrer Kirche missverstanden oder abgelehnt fühlen. Dies wäre außerordentlich befremdlich und ein Indiz dafür, dass Schneider in der Welt der Einflussreichen und Mächtigen weitaus eher zu Hause ist, als im Alltag von normalen Menschen. Tatsächlich geht es jedoch um eine Kirche „für die Eliten“, die gewiss in dieser Rolle auch an den Armen, Behinderten und anderen „sozialen Randgruppen“ Barmherzigkeit übt.

Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Bischof Dr. Wolfang Huber schreibt in seinem Vorwort zum EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“: „Die evangelische Kirche in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Demographische Umbrüche, finanzielle Einbußen, die Spätfolgen zurückliegender Austrittswellen, hohe Arbeitslosigkeit, globalisierter Wettbewerb sind gesellschaftliche Entwicklungen, von denen die Kirche entscheidend betroffen ist“ (Kirche der Freiheit, S. 7). Unkritisch werden im Wesentlichen die Folgen einer neoliberalen Politik beschrieben und zur Basis des kirchlichen Reformprojektes gemacht: „Die evangelischen Kirchen in Deutschland denken intensiv über ihre Zukunft und die Neugestaltung wichtiger Arbeitsfelder nach. Ausgelöst wurde dies durch enorme Wandlungsprozesse, in denen sich unsere ganze Gesellschaft befindet“ (Kirche der Freiheit, S 12). Aber es kommt noch schlimmer. Offenbar ist man entschlossen, nicht für die Menschen, wohl aber für die Kirche das Optimale aus der bestehenden Situation herauszuschlagen: „Das aktuelle Zeitfenster für religiöse Fragen entsteht auch durch die radikalisierte Globalisierung der Gegenwart. Die enormen Umwälzungen im wirtschaftlichen und politischen Bereich führen zu großen gesellschaftlichen Umstellungen und erheblichen sozialpolitischen Herausforderungen. Je ungewisser persönliche Lebenssituationen und berufliche Wege werden und je fragwürdiger eingelebte Sinnkonstruktionen und vertraute Ideale von Leistung und Erfolg erscheinen, desto mehr suchen die Menschen nach Sinn und Bedeutung, nach Freundschaft und Liebe, nach Gemeinschaft und Werten“ Kirche der Freiheit, S. 15). Man fühlt sich auf bedrückende Weise an die Ausführungen rechter US-amerikanischer Evangelikaler erinnert, die sich gegen jeden Ansatz von Sozialstaatlichkeit wehren mit dem Argument, dies würde die Menschen satt und selbstsicher werden lassen, so vom Glauben abbringen und zudem christlicher Barmherzigkeit den Raum nehmen. Deutlich wird: man will mit Hilfe der umworbenen „Verantwortungseliten“ aus der Not der Menschen Kapital schlagen.

Kirche „für die Elite“

Im Fokus des Textes „Evangelische Verantwortungseliten“ steht die kirchliche Basis, die auch an dieser Stelle für den neoliberalen „Mentalitätswandel“ gewonnen werden soll. Denn die Erfahrung zeigt, dass einflussreiche Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und auch aus der Finanz- und Beraterindustrie in aller Regel jederzeit Zugang und Gehör finden zu höchsten kirchlichen Repräsentanten. Bei kirchlichen Stiftungsfesten oder Empfängen kann man wahrnehmen, wie auf manchmal peinliche Weise die Vermögenden und Mächtigen aus einer Region umworben werden. Ziel ist es offenbar, die Gemeinden wieder für einen wohlwollenden Umgang mit den örtlichen Honoratioren zu öffnen und darüber hinaus „kirchliche Orte“ anzubieten, in denen Elite unter sich ihrem Bedürfnis nach Erbauung und Selbstvergewisserung komfortabel nachgehen kann.

Auf S. 29 der Schrift wird gefordert: „Kirchenglieder, die zu den gesellschaftlichen (Funktions-)Eliten zählen, haben oft eine klare Vorstellung von Qualität und Kompetenz, sie besitzen eine hohe Sensibilität für Fragen von Stil und Anspruch gegenüber sich selbst und auch gegenüber kirchlichen Angeboten. Es stellt eine grundlegende Herausforderung an eine milieu- und zielgruppensensible pastorale Arbeit dar, diese Ansprüche wahrzunehmen und auf sie glaubwürdig einzugehen. Im Bereich der kirchlichen Kernaufgaben wie Verkündigung und Seelsorge haben Menschen aus den Eliten oft und zu Recht ausgeprägte Erwartungen an ‚ihre‘ evangelische Kirche und die für sie zuständigen Gemeindepfarrer und Gemeindepfarrerinnen.“ „Die laufende Debatte um die Etablierung von Profil- und Personalgemeinden und um die Stärkung profilierter überparochialer kirchlicher Orte bieten Chancen dafür, Eliten mit ihren geistlichen und spirituellen Bedürfnissen wahrzunehmen und adäquate kirchliche Angebote zu entwickeln.“

Diese Sätze demaskieren den kirchlichen „Reformprozess“ als eine an den „Eliten“ orientierte und von diesen gesteuerte Veranstaltung. Zudem sind die erhobenen Forderungen brisant, da sie an ungute protestantische Traditionen anknüpfen, als Pfarrer, Unternehmer, Lehrer und Apotheker im Ort die Fäden zogen. Die Idee schließlich, „Profil- und Personalgemeinden“ speziell für die Einflussreichen, Wohlhabenden und Mächtigen zu entwickeln, ist atemberaubend. Deren besondere geistlichen, spirituellen und materiellen Bedürfnisse dürften erheblich an der kirchlichen Finanzkraft zehren bei vollumfänglicher Befriedigung - Geld, dass dann natürlich für die andere kirchliche Arbeit fehlt. Nicht zuletzt widerspricht die Etablierung einer derart „exklusiven Kirche“ dem Gedanken der Inklusion. Die im 3. Teil der Schrift entwickelte Aussage, dass sich in Gemeinden Menschen unterschiedlicher Milieus mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen, wird hier ad absurdum geführt.

Die neue „Bad Church“ - Gnade auf Ramschniveau

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ist der Begriff „Bad Bank“ geläufig. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung zur Aufnahme von Derivaten oder Zertifikaten auf der Grundlage von faulen Krediten. Mit diesem Instrument sollen sanierungsbedürftige Privatbanken entlastet werden.

Mit derartigen „toxischen Papieren“ hat eine Kirche in der Regel nichts zu tun. Was sie anzubieten hat, ist das Evangelium von Jesus Christus. Dieses wird jedoch durch die Äußerungen und das tatsächliche Handeln der Evangelischen Kirche zur billigen Gnade auf Ramschniveau. Wo es um ernsthafte Nachfolge geht, enthält man den „Eliten“ die Verbindlichkeit des Evangeliums vor - und gibt damit den eigenen Auftrag gegenüber der Welt preis.

Bereits in seinem Vorwort spricht Nikolaus Schneider von einer „Elite für andere“, die ihren „Reichtum an Gaben, Fähigkeiten und Gütern“ für andere und für das Gemeinwesen einsetzt (Ev. Verantwortungseliten, S. 5). Diese Definition ist so allgemein gehalten, dass sich mit Hilfe der entsprechenden neoliberalen ideologischen Versatzstücke ziemliche Viele darin wiederfinden werden. Der Begriff „Elite für andere“ weckt Assoziation an Gedanken von Bonhoeffer. Bonhoeffer spricht von einer „Kirche für andere“ und verbindet damit konkrete Vorstellungen nicht nur im Blick auf ihre materielle Existenz und Struktur, sondern auch bezogen auf ihren Auftrag gegenüber den Notleidenden, wie den Mächtigen und Einflussreichen.

Was also schreibt Bonhoeffer tatsächlich? Im Zentrum steht bei ihm die Christologie: Gott wendet sich in Jesus Christus den Menschen zu bis zur Hingabe am Kreuz. Daraus folgert er: „Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben. Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heiß ‚für andere dazusein‘. Speziell wird unsere Kirche den Lastern der Hybris, der Anbetung der Kraft und des Neides und des Illusionismus entgegentreten müssen. Sie wird von Maß, Echtheit, Vertrauen, Treue, Stetigkeit, Geduld, Zucht, Demut, Genügsamkeit, Bescheidenheit sprechen müssen. Sie wird die Bedeutung des menschlichen ‚Vorbildes‘ … nicht unterschätzen dürfen, nicht durch Begriffe, sondern durch ‚Vorbild‘ bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft.“ (Wiederstand und Ergebung, Gütersloh 1980, S. 193)

Man kann es heute kaum mehr glauben, aber es war Wolfgang Huber, der Anfang der 80-er Jahre in Ansätzen ein kirchliches Reformprogramm entwickelte, dass auf der Barmer Theologischen Erklärung und den Gedanken Bonhoeffers basierte - obwohl bestimmte Begrifflichkeiten einander ähneln, ist es das Gegenprogramm zu „Kirche der Freiheit“ (Wolfang Huber, Folgen christlicher Freiheit - Ethik und Theorie der Kirche im Horizont der Barmer Theologischen Erklärung, Neunkirchen-Vluyn 1983). Im Kapitel „Wahrheit und Existenzform - Anregungen zu einer Theorie der Kirche bei Dietrich Bonhoeffer“ führt Huber auf S. 197f aus: „Mit der Formel ‚Kirche für andere‘ unterstreicht Bonhoeffer noch einmal den unlöslichen Zusammenhang zwischen der Verkündigung der Kirche und ihrer Existenzform. Er trifft zweifellos einen neuralgischen Punkt, wenn er den Umgang der Kirche mit Besitz und Geld zu einem wichtigen Kriterium dafür erklärt, ob sie glaubwürdig Kirche für andere sein kann.““Am Umgang der Kirche mit materiellem Besitz und finanziellen Ressourcen muss erkennbar werden, dass sie die Kirche Jesu Christi ist, der sich mit den Geringsten identifiziert. Nicht organisatorische Machtentfaltung, sondern die Bereitschaft um der Entrechteten und Leidenden willen auf Privilegien zu verzichten, ist für sie kennzeichnend. Die ‚Kirche für andere‘ ist eine ‚einfache Kirche‘.“

Die EKD ist genau auf dem entgegengesetzten Weg. Und auch eine „evangelische Verantwortungselite“, die im beschrieben Sinne mit ihrer ganzen Existenz für andere da ist und so ihren Glauben im Alltag zugunsten der Notleidenden wirksam werden lässt, wird man trotz einzelner eindrucksvoller Persönlichkeiten kaum ausmachen können. Stattdessen gefällt man sich darin Bonhoeffers Gedanken auf Schlagworte zu reduzieren, die mit seinem Anliegen nicht das Geringste gemein haben. Die Deformation von Inhalten betrifft allerdings nicht nur Bonhoeffer, sondern auch biblische Texte.

In seinem Vorwort nimmt Nikolaus Schneider Bezug auf die Geschichte vom „reichen Jüngling“ (Markus 10,17-27). Dieser wendet sich an Jesus mit der Frage: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu ererben?“ Jesus gewinnt den jungen Mann lieb und sagt ihm schließlich: „Geh hin und verkaufe alles was die hast und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.“ Da wurde der junge Mann unmutig über die Worte Jesu und ging traurig davon, denn „er hatte viele Güter“. Mit den folgenden Sätzen fordert Schneider seine Mitchristen auf, es im Blick auf die Elite besser zu machen als Jesus damals: „Sie sollen sich willkommen fühlen, und sie sollten in ihrem Verantwortungsgefühl und ihrem Selbstverständnis als „Elite für andere“ bestärkt werden, denn unsere Kirche braucht ihre Anwesenheit, Mithilfe und Strahlkraft. Wenn sie nur traurig werden und gehen, obwohl sie – anders als der reiche Jüngling – ihren Reichtum an Engagement, Einfluss und Gestaltungskraft gerne in den Dienst stellen wollen, ist weder ihnen noch unserer evangelischen Kirche noch auch dem Nächsten gedient.“ (Ev. Verantwortungseliten, S. 6)

Man mag darüber spekulieren, ob der reiche Jüngling nicht durchaus bereit gewesen wäre, sein Engagement, seinen Einfluss und seine Gestaltungskraft in den Dienst der Sache Jesu zu stellen. Er schlägt den Ruf in die Nachfolge, die verbunden ist mit der Abgabe seines Besitzes an die Armen, allerdings aus. Kann man ernsthaft darüber streiten, dass sich das Streben nach Macht, Ansehen und Reichtum als vorrangiges Lebensziel auch heute nicht mit der Nachfolge Jesu verträgt? Dies ist die permanente biblische Zumutung an die Mächtigen, Einflussreichen und Vermögenden, die ihr Lebenskonzept auf dem Reichtum ihrer Gaben und Güter gründen. Diese Zumutung möchte Schneider entschärfen - die gleiche Tendenz findet sich in zahlreichen anderen EKD-Texten. So heißt in „Ev. Verantwortungseliten“ auf S. 30f: „Allerdings können Eliten mitunter den Eindruck gewinnen, dass sie mit ihrem Stil, ihren Themen, ihren Bedürfnissen in der evangelischen Kirche nicht genügend vorkommen; manche sind für lange Zeit durch Predigtsituationen gehemmt, in denen sie sich „an den Pranger“ gestellt fühlten, ohne dass ihre Situation zureichend verstanden wurde oder sie das so entstandene Bild zurechtrücken konnten.“ „ Aber es darf in der evangelischen Kirche nicht der Eindruck eines Ausschlusses gesellschaftlicher Verantwortungsträger von der Botschaft des Evangeliums entstehen.“

Das entscheidende Problem ist doch wohl eher, dass man „gesellschaftlichen Verantwortungsträgern“ biblische Inhalte und zentrale Elemente des Evangeliums vorenthalten möchte, um deren Wohlwollen nicht einzubüßen. Die zitierten Sätze kritisieren implizit Jesus von Nazareth, der im Anschluss an die Begegnung mit dem reichen Jüngling zu seinen Jüngern sagt: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als das ein Reicher in den Himmel komme.“ (Markus 10,25).

Ein treffender Kommentar zu diesem Kurs der EKD findet sich im Jakobusbrief, 2,1-9:

Liebe Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken? Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan. Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen? Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist? Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht; wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.
 

 

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